Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)
WAGNER, Hans: Die Briefsammlung Gauchez
Rezensionen 593 fassen sich drei Bände, von denen als erster der zweite Band über die Zeit von 1848 bis 1918 erschienen ist. Der Verf. A. J. P. Taylor, einer der führenden Historiker des heutigen Englands, ist bereits seit längerem durch eine Anzahl bedeutender Publikationen auch am Kontinent bekannt. Freilich stieß er infolge der neuen Gesichtspunkte und der eigenwilligen, den herrschenden Geschichtsbildern oft widersprechenden Auffassungen, die er vertritt, vielfach auf Widerspruch und namentlich wird er in Kreisen österreichischer Historiker wegen seiner Ansichten über die Habsburgermonarchie nicht immer geschätzt, ohne daß sich bis jetzt jemand mit ihm ernsthaft und gründlich darüber auseinandergesetzt hätte. Obgleich der vorliegende Band als „textbook“ vor allem referierenden Charakter trägt, hat T. auch ihm den Stempel seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit aufzudrücken vermocht. Die Darstellung beschränkt sich im wesentlichen auf das rein diplomatische Geschehen. Nur in der Einleitung befaßt sich der Verf. kurz mit dem Problem des europäischen Gleichgewichts, das trotz der Revolution von 1848 und einzelner Verschiebungen bis zum ersten Weltkrieg im wesentlichen erhalten werden konnte. In einem knappen Überblick werden an Hand von Tabellen Bevölkerungsbewegung, Rüstung und wirtschaftliche Entwicklung der großen Mächte in dem behandelten Zeitraum verfolgt. Nach einem Rückblick auf das Staatensystem zur Zeit Metternichs, das zum Unterschied von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch keine fester ausgebauten Bündnisformen aufzuweisen hatte, wird die Diplomatie der Revolution von 1848 untersucht, wobei sich T., was Italien betrifft, auf eigene Forschungen stützen kann. Er hebt auch hervor, daß die österreichische Politik vor Olmütz weniger auf die deutschen nationalen Belange Rücksicht nahm als Preußen. Die äußere Politik Österreichs während des Krimkrieges führt T. nicht nur auf den Zwiespalt zwischen Buol und der Generalität zurück, sondern glaubt, daß auch Rücksichten auf die preußische Haltung mitbestimmend waren. Der Pariser Kongreß habe dann allen Teilnehmern, besonders aber Österreich Enttäuschungen gebracht. Bei der Vorgeschichte des Krieges von 1859 scheint mir (S. 101) die Haltung Napoleons III. in der Orsini- Episode doch zu sehr idealisiert. T. bemüht sich sehr, der Persönlichkeit Bismarcks gerecht zu werden, dessen Politik seit dem Tage von Frankfurt 1863 offensichtlich mit Sympathie gezeichnet wird. Ausführlich wird beim Abschluß des preußischitalienischen Bündnisses von 1866 auf die verschiedenen Kombinationen eines Tausches Venetiens gegen Rumänien eingegangen und auf gezeigt, wie weit die venezianische Frage diplomatisch der ausschlaggebende Anlaß zum Krieg wurde. Die deutsche Einheit als dessen Ergebnis war mehr als eine Vergrößerung Preußens, was Frankreich 1870, Rußland 1878 schmerzlich zu spüren bekamen. Die Versuche einer großen Allianz zwischen Österreich, Frankreich und Italien vor 1870 scheiterten, wie T. nachweist, nicht nur an der römischen, sondern auch an der orientalischen Frage. Der Verf. ist auch der Meinung, daß Bismarck den Krieg von 1870 zum Unterschied von 1866 nicht von 38 Mitteilungen, Band 9