Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)

WANDRUSZKA, Adam: Aus Ignaz Seipels letzten Lebensjahren. Unveröffentlichte Briefe aus den Jahren 1931 und 1932

566 Adam Wandruszka leitung des Spieles“ und an der Durchführung) stimmt mit der späteren Mitteilung des damaligen Reichsaußenministers Curtius überein, der frü­here Reichskanzler Wirth habe ihm Grüße von Seipel bestellt, „der die Zoll­unionsaktion voll billige und mir dazu sagen ließ, wir sollten nur fest bleiben“ 3). Für die gelegentlich vorgebrachte Vermutung von Quertrei­bereien Seipels gegen das Projekt4) läßt sich zumindest in diesen Briefen keine Stütze finden. Auch die Äußerung Seipels im Brief vom 21. Juni 1931 bezieht sich auf einen in deutschnationalen Kreisen positiv aufgenommenen Artikel Nelböcks im Brünner „Tagesboten“ über die Zollunion. Die persönliche Gegnerschaft zu Schober kommt darin zum Ausdruck, daß Seipel dessen Namen nicht nennnt, sondern nur von „unserem Ver­treter“ und vom „Österreicher“ spricht. Der „Professor“ Seipel strebt jedoch sogleich wieder nach gerechter Würdigung auch des Gegners. Aufschlußreich für Seipels politisches Temperament ist ferner die häu­fige Verwendung der Begriffe „stark“, „Spiel“, „Karten“, „herrisch“, „stärkste Kämpfer“ im positiven, von „weich“, „schwach“, „Versöhnungs­maier“ im negativen Sinn. Die Spannung im Wesen des Priester-Politikers, der seiner Veranlagung nach selbst ein „starker Mann“ und „Kämpfer“ war und dem die Politik, wie Josef Redlich wohl richtig beobachtete, „gro­ßen Spaß“ machte5), wird auch hier wieder deutlich. Bestimmte doch, wie gerade diese Briefe zeigen, Seipels Auffassung von der „Stärke“ nicht nur die Bedingungen, unter denen ihm in der Innenpolitik eine Koalition „er­träglich“ erschien, sondern selbst sein Verhalten gegenüber Politikern des Auslands, wie hier gegenüber den beiden Ungarn Elemér Hantos und Graf Stefan Bethlen. Alle Briefe sind in der sauberen klaren Handschrift Seipels (kurrent, nur der Namenszug in Lateinschrift) abgefaßt. Der letzte Brief zeigt, wohl infolge der schweren Krankheit, ein etwas verändertes Schriftbild. 8) Curtius, a. a. 0., S. 37 u. 49. 4) Eine derartige Andeutung bei Hauser, a. a. 0., S. 66. Hingegen schreibt Walter Goldinger aus genauer Kenntnis der Sachlage: „Der Plan selbst hatte Sinn und Bedeutung, was auch von Seipel anerkannt wurde.“ (Geschichte der Republik Österreich, S. 180 f.). Zu der ja auch hier hereinspielenden Frage der Stellung Seipels zum Anschluß vor allem der von Paul R. Sweet veröffentlichte Briefwechsel Seipels mit W. Bauer (Seipel’s views on Anschluss in 1928: an unpublished exchange of letters, The Journal of Modern History, vol. XIX, 1947, S. 320 ff.), aus dem jüngst in verschiedenen Pressepolemiken Bruchstücke ver­öffentlicht wurden. 5) Tagebucheintragung Redlichs vom 24. April 1919, Schicksalsjahre Öster­reichs 1908—1919, Das politische Tagebuch Josef Redlichs, II. hg. v. Fellner, Wien 1954, S. 342.

Next

/
Thumbnails
Contents