Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)

WANDRUSZKA, Adam: Aus Ignaz Seipels letzten Lebensjahren. Unveröffentlichte Briefe aus den Jahren 1931 und 1932

Aus Ignaz Seipels letzten Lebensjahren 567 Texte. Verehrter Herr Doktor! Meran, 2./1. 31 Begreiflicherweise ist mir Ihr Buch samt den Beilagen nicht hieher nachgeschickt worden, wo ich, wie Sie wissen, seit vier Wochen als ernstlich kranker Mann in einem Sanatorium lebe. Aber ich sage Ihnen trotzdem schon jetzt den herzlichsten Dank für Ihre liebe Gabe. Ich freue mich sehr darauf, Ihr Buch lesen zu können, u. werde mich dann wieder bei Ihnen melden. Mit meiner Erholung geht es langsam vorwärts; ich habe zuviel an Lebenskraft ausgegeben. Übrigens glaube ich, daß unsereiner es als eine große Gnade Gottes ansehen muß, wenn er zuweilen zur Ruhe gerufen wird. Es ist auch für die Politik gut; inzwischen soll innerlich und äußerlich allerhand reifen. Ihnen, Ihrer Frau Gemahlin u. Ihren Kindern, Ihrem Herrn Schwieger­vater, allen wünsche ich ein recht gesegnetes Jahr 1931. Mit vielen schönen Grüßen ihr ggjj,. ergebener Seipel Sehr geehrter Herr Doktor! Wien, 22./5. 31 Für die freundlichen Glückwünsche zu meinem Ehrendoktorat der Rechte sage ich Ihnen den herzlichsten Dank. In der Frage der Zollunion stellte ich mich vom ersten Tag an, als ich davon erfuhr, auf den Standpunkt, daß wir alle, wenn die Regierungen in Berlin u. Wien ein solches Spiel angesagt hatten, es mit den stärksten Karten zu Ende spielen müßten, ohne etwa Rekriminationen über die Methode, den Zeitpunkt der Einleitung des Spieles u.s.w. zu erheben. Wir drängten auch die Kundgebungen der Industrie, in denen die wirtschaft­lichen Befürchtungen zum Ausdruck kamen, zurück, wenn wir sie auch nicht ganz verhindern konnten. Leider wurde aber das Spiel schwach gespielt. Man muß unserem Vertreter zugute halten, daß Curtius nicht stärker war und ist als er. Es ist eine offenkundige Niederlage. Die tsche­chischen Blätter, auch die deutschgeschriebenen, verbergen ja auch Triumph und Hohn nicht. Ihnen und Ihrer Familie wünsche ich nach wie vor alles Gute. Mir geht es schon wieder viel besser. Ganz gesund bin ich noch nicht; aber dieser Zustand paßt zur gegenwärtigen politischen Situation. Für die inter­essanten Beilagen Ihres Briefes besten Dank! Mit vielen schönen Grüßen Ihr ergebener Seipel

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