Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)

WALTER, Friedrich: Metternich und Gervay. Ein Briefwechsel

Metternich und Gervay 189 zu liefern“, klagt er8), als ihm die Absicht bekannt wird, den jungen Erzherzog Albrecht mit einer bayrischen Prinzessin zu vermählen, ohne daß vorher die Zustimmung des Kaisers eingeholt worden wäre, und von der sich erhebenden tschechisch-nationalen Bewegung spricht er als von einer „Neigung, welche dann, wenn die Dinge im gewöhnlichen Schlendrian gehen, nur zu kleinen Aberrationen führe, welche aber in der Epoche allgemeiner Aufregung wie der Bohnensalat auf die Men­schen wirke, wenn die Cholera herrsche“ 9). Freilich nicht ganz selten geraten die gebrauchten Bilder auch reichlich schief, was nicht weiter verwunderlich ist, da der Fürst sich um die prägnante Formulierung seiner Gedanken ersichtlich nicht bemüht, vielmehr die Feder einfach laufen läßt — es fehlt auch nicht an unvollendeten, ja unverständlichen Sätzen: der Kanzler kommt unversehens in ein dunkles „Orakeln“ hinein, in ein unklare Gedanken unklar ausdrückendes Wortgeklingel, das dann auch wiederholt an seinen Ausarbeitungen bekrittelt wurde. Immer wieder bricht des Fürsten Neigung zum „Dozieren“ durch, die, solange sein Gegenstand die Politik ist, den Angesprochenen schlimmstenfalls ab und ein wenig „ennuyiert“ haben mag, die aber, wenn sie weit — etwa auf das Gebiet der den Kanzler so außerordentlich interessierenden Naturwissenschaften 10) — abschweifte, leicht als son­derbare Marotte genommen worden sein mag. Die tiefste Wurzel dieser etwas üppig wuchernden Lehrhaftigkeit liegt jedoch in dem sehr ernst zu nehmenden Drang des Fürsten, alles Einzelgeschehen aus allgemeinen Gesetzen herzuleiten, aus dem Einzelfall die allgemeine Regel zu er­schließen; in richtiger Selbsterkenntnis sagt er von sich: „Ich bin vor allem ein Prinzipienmensch und kann nur auf selbe gestützt leben ...! Die Mehrzahl unserer Geschäftsleute geht im Halbdunkel vor, und dann gehen die Sachen und am Ende die Staaten mit den Sachen zu Grunde“ 11). Und damit weist uns Metternich recht eigentlich den Weg zum Verständnis seiner ganzen Systempolitik: glaubt der Fürst nämlich einmal eine allgemeine Verhaltensmaßregel für bestimmte Lagen gefun­den zu haben, dann hält er eisern an ihr und auch an allen aus ihr sich ergebenden Folgerungen fest, und wenn die Dinge anders als erwartet laufen, ja dann hat eben die Wirklichkeit und nicht die Theorie unrecht ... Dieser Doktrinarismus des Staatskanzlers wurde noch durch ein gerüttelt Maß Selbstüberschätzung erheblich verstärkt. 1843, da der Stern des Fürsten seine Kulmination längst durchschritten hat, schreibt er12) : „Ischl“, wo er im Juli und August dieses Jahres die Bäder nimmt, 8) L. 9) LXXIII. JO) IX. 11) LXXIV. 12) LIII.

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