Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)

CORETH, Anna: Das französische Archivwesen. Bericht über den internationalen Archivkurs in Paris 1954–1955

Frankreich 343 f) Archivbestände als Geschichtsquellen. Der internationale Archivkurs stellte sich nicht nur zur Aufgabe, in die französische Archivorganisation einzuführen, sondern man trachtete, den Hörer soweit als möglich mit dem Inhalt der Archivbestände bekannt zu machen. Dies geschah einerseits durch Vorträge über die archivalische Quellenlage zu bestimmten historischen Themenkreisen; andererseits durch solche über einzelne Archivbestände von besonderer Wichtigkeit. Zum ersten sind hier etwa Vorträge zu nennen, die den Hörer mit den Quellen zur Kirchengeschichte vertraut machen sollten und ihm eine Ahnung gaben von manchen Schätzen, die in einigen Ordens- und Bischofsarchi­ven, etwa in St. Sulpice in Paris, trotz der Zerstörungen durch die Revo- lution noch vorhanden sind. Besonders lehrreich und auch über den Rahmen des französischen Territoriums hinausgespannt waren die Vorträge über Quellen zur Wirtschaftsgeschichte im Mittelalter, in der Renaissance und in neuerer Zeit. Hier muß gesagt werden, daß man sich heute um alte und neue Wirtschaftarchive nicht nur vom konservatorischen Standpunkt aus mit großen Energien bemüht, sondern daß in der französischen Forschung die Wirtschaftsgeschichte stark in den Vordergrund gerückt ist, wobei man die deskriptive Methode weitgehend durch die statistische zu er­setzen sucht, u. zw. auch für das Mittelalter. In ähnlicher Weise wurden auch die Quellen zur Geschichte der Re­formation und des Protestantismus, oder zur Kunst-, Literatur und Rechts­geschichte behandelt. In diesem Rahmen verdienen die Notariatsarchive als Quellen vor allem zur Wirtschaftsgeschichte besondere Beachtung. An Einzelbeständen von historisch erstrangiger Bedeutung seien zwei Fonds des Nationalarchivs erwähnt: der Trésor des Chartes und das Parlamentsarchiv. Der Trésor des Chartes, von Philipp II. August im Jahre 1194 begründet, nachdem sein Urkundenschatz in der Schlacht bei Fréteval fast gänzlich an die Engländer verloren ging, ist nichts anderes als das Archiv des französischen Königshauses der Kapetinger, und reicht in der Hauptmasse bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Ursprüng­lich war es im königlichen Palast, dann in der Sainte-Chapelle aufbe­wahrt. Es ist, den königlichen Domänen entsprechend, teils topographisch, teils nach Sachgebieten geordnet, wobei Urkunden wie Akten gemeinsam in Schachteln verwahrt und die Siegel durch Säckchen geschützt sind. Der zweite hier gesondert zu erwähnende Bestand ist das Archiv des königlichen Gerichtshofes in Paris, „Parlement“ genannt, dessen Regi­ster sich in fast geschlossener Folge von der Zeit Ludwigs des Heiligen bis 1790 ausdehnen und einen ungeheuren historischen Wert darstellen. Sie enthalten vor allem die gerichtlichen Urteile, während die übrigen Akten nur für die beiden letzten Jahrhunderte des Ancien Régime auf­bewahrt wurden. Der Bestand umfaßt 27.000 Einheiten. g) Zuwachs und Skartierung. Der Zuwachs geschieht naturgemäß in erster Linie infolge Ablieferung durch die Behörden. Wird diese, wie gesagt, durch die Archivleitungen energisch betrieben, so steht ihr doch das Raumproblem entgegen. Der

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