Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.
504 Erika Weinzierl-Fischer Im Rahmen dieser Arbeit ist aber vor allem die erste Abteilung 178) des kaiserlichen Berichtes, die Joseph am 27. Oktober 1771 in Prag abschloß, von Interesse. Sie enthält eine von gewissen Vorurteilen allerdings nicht ganz freie Schilderung der Situation in Böhmen und die nach der Meinung des Kaisers durchzuführenden Hilfsmaßnahmen. Joseph macht in ihr die Mißernten 1769, 1770 und 1771 für die akute Not verantwortlich. Mangelhafte Kost und große Feuchtigkeit hätten alle möglichen Krankheiten hervorgerufen, durch die seit einem Jahr die Todesfälle um 33—50 Prozent gestiegen seien 17°). Bauern, Bürger, Fabrikanten und Soldaten litten Not, auch der Adel müsse sich einschränken, einzig die Geistlichkeit habe ihr Auskommen und verfüge über das Zehnfache dessen, was sie benötige. Zur Abhilfe forderte Joseph vor allem weitere strengste Ausfuhrsperre180), vollkommen freie Einfuhr181) besonders aus Ungarn182), Militäraufsicht über die Transportfuhren, die die einzelnen Länder zu stellen haben, die Einfuhr von 4000 Centnern Reis aus Italien 183) und bayrischer Gerste sowie die Aussetzung von Prämien für die private Getreideeinfuhr von Innerösterreich nach Böhmen. Konnte also auch der Kaiser nicht wesentlich andere als die schon begonnenen Hilfsmaßnahmen empfehlen, so bleibt ihm doch das große Verdienst, sie durch sein energisches Auftreten wirklich entscheidend beschleunigt zu haben. Denn auf Grund dieses Berichtes ließ Maria Theresia und die Verbindung aller einseitigen Vortheile zu dem allgemeinen Besten als das einzige Rettungsmittel betrachten.“ 1771 XI 30, Handbillett Maria Theresias an Hatzfeld, Kop., Hofreisen Karton 3. Tatsächlich wurde dann Hatzfeld dirigierender Staatsminister, „ministre en chef“, Blümegen Oberster Kanzler und Kollowrat Präsident der Hofkammer und Ministerial-Bancodeputation. Vgl. Walter, Zentralverwaltung, a. a. O., II/l, S. 437 ff. 178) „Die iezige Laage deren Böhmischen Landern, und was vor Mitteln die Nothdurft zu erheischen scheinet, gleich anzuwenden, um ein grösseres Uebel zu verhüten.“ Orig., Hofreisen Karton 4. 17°) Nach Joseph sind der Hungersnot bis zum Herbst 1771 ca. 30.000 Menschen zum Opfer gefallen. Pelzel, a. a. O., S. 622, gibt 250.000 Tote an, Friedrich II. von Preußen in einem Brief vom 21. VIII. 1772, in dem allerdings auch die Einwohnerzahl von Böhmen zu niedrig angeführt ist, 20.000 (nach Bretholz, a. a. O., S. 234, Anm. 33). Nach den amtlichen, vom Militär durchgeführten und nicht sehr verläßlichen Seelenkonskriptionen betrug die Bevölkerungszahl Böhmens 1771 2,493.878, 1772 dagegen 2,265.867 (Mähren 1,455.758 und 1,417.423, Schlesien 199.974 und 199.680). Alfred Gürtler, Die Volkszählungen Maria Theresias und Josefs II. 1753—1790, Innsbruck 1909, Tabelle I. 180) Siehe oben S. 481 ff. 181) „da die Freyheit das edelste ist, was der Mensch hat, und so lang als man selbe werckthätig kann handeln machen, so ist eine viel sichere Rechnung auf die menschlichen Kräfte, welche doch alle von dem Willen meistens herkommen, zu machen, als durch alle Zwangs-Mitteln ...“. 182) „Der Staats-Cörper ist nur in soweit starck und ansehnlich, wann alle Theile gleich zu dem nämlichen Ziel mitwürcken . .. 183) Dies wurde sofort in die Wege geleitet. 1771 XI 25, XII 27, Kommission Fasz. 5, Dezember, n. 95.