Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.
Die Bekämpfung' der Hungersnot in Böhmen 1770—1772 503 benerleichterung, Handelsfreiheit, Robotregulierung169 * 171) und die Aufhebung der Gefällsverpachtung 17°) sowie der Militärökonomie (d. h. „die Bürger sollten wieder die Verfertigung der Militärerfordernisse übernehmen“) gefordert m). Auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen und dieser Unterlagen verfaßte nun der Mitregent einen großen Bericht172) an die Kaiserin, den er in drei Abteilungen 173) gliederte und dessen Mittelteil nicht nur eine vernichtende Kritik der Gesamtmonarchie, sondern auch alle Reformen, die Joseph nach dem Tod Maria Theresias in Angriff nahm, und grundlegende Vorschläge zur Änderung der Staatsverwaltung enthielt174). Diese führten zu einer großen persönlichen Auseinandersetzung mit der Kaiserin 175) und wenn auch z. B. einer der wichtigsten Anträge Josephs, nämlich die Ernennung eines obersten Ministers, von dem die gesamte Verwaltung ausschließlich abhängen sollte, nicht zur Durchführung kam 176), so gehen die im Dezember 1771 vorgenommenen Veränderungen doch zweifellos auf das Einschreiten des Kaisers zurück177). 169) Kollowrat trat für die Entsendung einer Urbarialkommission nach Böhmen ein. Ebendort. Vgl. dazu Bretholz, a. a. O., S. 141 ff., ferner Karl Grünberg, Franz Anton von Blanc, Ein Sozialpolitiker der theresianischen und josefinischen Zeit, München—Leipzig 1921, S. 36 ff. 17°) Kollowrat hielt die Einführung von Steuern oder Stempelgebühren für günstiger als die Verpachtungen. Nachlaß Kollowrat, n. 314. 171) Aus der Zusammenstellung Josephs über die Beantwortung seiner Fragen durch die Kreishauptleute. Hofreisen Karton 4. — Weitere Vorschläge lauteten: „wann die in vorige Zeiten sich auf 30.000 erstrekende Edelleute aus fremden Landern wieder herbey gezogen wurden, welche den Handwerksmann vielen Verdienst schaffen wurden“ (Jersabeck von Jersabina, Freiherr von Begierbeck, Kreishauptmann von Tschaslau). — „durch freyes Religions exercitium fremde Künstler und Fabricanten herbeyzuloken, nach deren Gesehik- lichkeit sich Innländer fähig machen könten“ (Freiherr von Kotz, Kreishauptmann von Beraun). — „ausserdeme wäre mittellosen und unarbeitsamen Leuten das heirathen nicht zu gestatten, weil dadurch nur Bettler erzogen wurden“ (von Bossy, Kreishauptmann von Tabor). — Öffnung des Handels gegen Sachsen (von Millach, Kreishauptmann von Saaz). Ebendort. 172) Orig., Hofreisen Karton 4. 173) Vgl. Arneth, a. a. 0., S. 48 ff. 174) Beendet am 8. November 1771 in Prag. Ediert bei Schütter, a. a. O., S. 373—398 unter 8. Oktober. 175) Vgl. den aufschlußreichen Brief der Kaiserin an Joseph (November 1771?), Arneth, Maria Theresia und Joseph II., 1, S. 350, n. 151. 176) Vgl. Arneth, Geschichte Maria Theresias, 10, S. 58. — Kollowrat, der im Grunde die gleichen Übel beanstandete wie der Kaiser, konnte es sich doch nicht versagen, zur Vorsicht zu mahnen: „eine Regierungs Form, wenn sie auch Gebrechen enthält auf einmal umzuendern scheinet meinem geringen Einsehen nach allemal gefährlich zu seyn.Note Kollowrats, 1771, s. d., Konzept, Nachlaß Kollowrat, n. 315. 177) „Die betrübten Umstände, in welchen sich die meisten Länder meiner Monarchie befinden, ja welche nothwendig auf mein aerarium stärkest einfließen, machen mir die Zusammenziehung aller Theile unter einer Aufsicht