Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

502 Erika Weinzierl-Fischer aus nicht einheitlich163). Der Kreishauptmann von Tschaslau berichtete, daß die Bauern nur äußerst widerwillig ihre Arbeit verrichteten und auf den Herrschaften Neuhof und Sehuschitz sogar mit Militärgewalt zur Aus­saat gezwungen werden mußten164). Der Gesundheitszustand der Bevölke­rung war nach der Aussage der Kreishauptleute im allgemeinen schlecht. In Bitow, Kreis Rakonitz, gab es 600 Kranke, seit März waren 126 gestor­ben. Im Kreis Prachin erhöhten „faule Fieber und Dissenterien“ die nor­male Sterbeziffer um 50 Prozent. Im Kreis Kaurim waren 10 Personen nach dem Genuß von Gras gestorben. Sehr interessant sind auch die Zahlen über die rasche Bevölkerungszunahme, die sicher eine Ursache der großen Not war 16S). Allgemein waren die Klagen der Kreishauptleute über die Beschränkung des Handels 166), die sich äußerst ungünstig auswirkte 167 168). Hinsichtlich der Verwaltung erklärten fast alle Kreishauptleute, daß sie zu wenig Verfügungsgewalt besäßen, dafür aber mit Schreibereien über­häuft würden. Die Beamtenschaft sei außerdem viel zu schlecht bezahlt188). Zur Verbesserung der Lage wurden allgemein die Errichtung von Maga­zinen, Einfuhr von Getreide und Reis, Gewährung von Vorschüssen, Abga­baues ein. Für besonders schädlich hielt Kollowrat die vielen sechsklassigen lateinischen Schulen in Böhmen, in die die Eltern ihre Kinder schickten, um deren soziale Lage zu verbessern. Gäbe es weniger derartige Institute, so wären sie genötigt, „sich desto mehr auf das Handwerk und anderes nüzliches Gewerb zu verlegen, von dem sie einstens besser leben könnten, als von dem elenden Latein, durch das viele tausend lebenslänglich ungluklich gemacht werden.“ Nachlaß Kollowrat, n. 314. >63) 1 Metzen Roggen kostete in Tschaslau 3—4 fl., in Leitmeritz 5 fl., in Saaz 7 fl. 30 kr., und in Klattau sogar 7—8 fl. In Linz dagegen 4 fl. und in St. Pölten fl- Vgl. dazu auch oben S. 487. 164) Nach Kollowrat verlangte der böhmische Grundherr zu viel, die grund­herrschaftlichen Beamten waren hart und schlecht, die Untertanen dafür wider­spenstig. Es sei eine „uralte böhmische Gewohnheit“ zu glauben, daß der Unter­tan „ohne Zwang und Schlägen“ nicht seine Schuldigkeit tue. Nachlaß Kollowrat, n. 314. ><w) Die Bevölkerung des Kreises Bidschow war in 6 Jahren um 15.406, jene des Kreises Bunzlau sogar um 76.085 gestiegen. Die Bevölkerungszunahme seit 1763 betrug im Kreis Prachin 55.027, im Kreis Budweis 66.032, im Kreis Chru- dim seit 1756 70.000. Dabei vermehrten sich nach Kollowrat vor allem die „Inleute“, die keinen Grund und Boden besaßen, besonders stark. Ebendort. 166) Kollowrat: „Es sind geschworne Garn Samler angestellt, in deren Will­kür es steht, den Preyß des Garns zu bestimmen.“ Ebendort. 16<) So waren z. B. im Kreis Bidschow früher jährlich 40.000—50.000 Schock Leinwand vertrieben worden, 1771 aber nur mehr 2000—3000. Die Zahl der Web­stühle in diesem Kreis war von 100 auf 10 gesunken. 168) Kollowrat äußerte dazu, daß die Kreishauptleute zum Teil unfähig seien (dieses Urteil fällte auch der Kaiser. Charakteristik der böhmischen Kreis­hauptleute, Hofreisen Karton 3), außerdem nicht vermögend und daher auf Grund ihres geringen Gehaltes für Geschenke von Seiten der Dominien empfäng­lich. Er schlug deshalb die Einführung eines Gesetzes vor, nach dem kein Kavalier ein höheres Amt erlangen könne, wenn er nicht vorher drei Jahre an einem Kreisamt gearbeitet habe. Nachlaß Kollowrat, n. 314.

Next

/
Thumbnails
Contents