Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770—1772 499 über den Gesundheitszustand der böhmischen Bevölkerung in Wien ein: Verschiedene infektiöse Krankheiten und vor allem (vermutlich gastrische) Fieber suchten die hungernden Menschen besonders in der Stadt Prag, aber auch auf dem flachen Land heim153). In dieser Situation entschloß sich nun Joseph, selbst nach Böhmen zu reisen und an Ort und Stelle nach dem Rechten zu sehen, da man — nach seinen eigenen Worten — „malgré tous mes cris“ — nichts tat, um dem be­drängten Land ernstlich zu helfen 154). Er ließ sich von Hatzfeld die ihm notwendig erscheinenden Informationen besorgen155) und verließ am 1. Oktober 1771 die Residenzstadt, in der er eine Mutter zurückließ, die nun nicht nur das in Böhmen herrschende Elend, sondern auch die Sorge um den im verseuchten Land weilenden Sohn zutiefst beunruhigte ,5fi). ohne Unterschied, sie mögen Landes-Unterthanen, oder Ausländer seyn, mit dem Strang standrechtmäßig hingerichtet werden“. Sehmuggelaktionen von Gruppen unter 10 Personen, die keinen Widerstand leisteten, sollten mit Zuchthaus, „gemeiner Arbeit in Eisen und Banden“ und Getreidekonfiskation bestraft wer­den. Schließlich wurde die Todesstrafe auch auf Einzelgänger ausgedehnt „ohne Standrecht pro hoc casu salvo recursu pro gratia“ und für alle Erblande mit Ausnahme der Vorlande erlassen (1771 XI 2, Vortrag der Obersten Justizstelle, ebendort, Fasz. 4, November, n. 36). In Böhmen wurde das Strafpatent dann sogar auf den Schmuggel „von gebackenem Brot jeder Sorte, Hülsenfrüchte, Zugemüse und Kartoffeln“ erstreckt (1772 III 20, ebendort, Fasz. 8, März, n. 73). In den wenigen Fällen, in denen ich ein Todesurteil wegen versuchten Getreideschmuggels feststellen konnte, wurde jedoch immer eine Begnadigung- ausgesprochen. So z. B. an einem Bauern aus Berg, O.-Ö., und an sieben Bauern aus Schmiedberg (StR.Prot. 1772/11/535 und III/1870). iss) 1771 vn 9, 1771 XI 23, 1772 II 11. StR.Prot. 1771/III/2423, IV/3918, 1772/11/375. 154) „enfin malgré tous mes cris Ton ne fait rien pour soulager la Boheme.“ 1771 IX 25, Joseph an Leopold. Alfred Ritter von Arneth, Maria Theresia und Joseph II., 1, Wien 1867, S. 344, n. 147. 155) „Lieber Graf von Hatzfeld! Da ich gedenke übermorgen von hier nach Mähren, und Böhmen abzureisen, so will ich, daß Sie mir 1°: alle Kreisstationen samt den Namen der Kreishauptleute anzeigen. 2d«: Was das Contributionale, die Schuldensteuer, der Viehaufschlag, Fleischkreutzer, Tranksteuer jährlichen in diesen beyden Ländern austragen. 3*io Wieviel Ansässige gerechnet werden? und was ein jeder zu besitzen hat? Sie werden mir auch eine copia der seit einem Jahre wegen der ausgebro­chenen Noth ergangenen Haupt und Normalbefehlen überschicken, wie auch durch das Gubernium die Kreishauptleute ehestens verständigen lassen, daß sie sich gefaßt halten, mir über den wirklichen, und noch mehr zukünftigen Noth- stand, wie auch Mittel dafür alle Auskunft zu geben. Wien den 29. Sept. 1771. Joseph Correg.“ Handbillett Josephs an Hatzfeld, Kop., Kommission Fasz. 3, September, n. 36. 15®) „J’ai besoin de toutes ces consolations, quand je pense a la Boheme et Moravie, tout est évanoui. L’empereur y fait actuellement le tour, non sans grande inquiétude de ma part ä cause des maladies, mais il ne peut assez exprimer la misére qui y regne, et peu ou point de moyens ä remedier.“ 1771 X 23, Maria Theresia an die Gräfin Enzenberg. Alfred Ritter von Arneth, Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde, 4, Wien 1881, S. 504. 32*

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