Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

500 Erika Weinzierl-Fischer Der Kaiser begab sich über Brünn, Olmütz, Troppau, Iglau, Tschaslau, Pardubitz, Trautenau, Hohenelbe, Leitmeritz, Komotau, Saaz, Rakonitz, Sbirow, Pilsen, Klattau, Kattowitz, Strakonitz und Tabor nach Prag, wo er am 24. Oktober eintraf und bis zum 10. November blieb. Die Tage in Prag waren restlos mit Arbeit, Diktat und Audienzen ausgefüllt. Am 10. November reiste Joseph über Wottitz, Budweis, Linz und St. Pölten wieder nach Wien, das er am 17. November erreichte137 138). Das vom Kaiser persönlich genau geführte Reisejournal, das er nach seiner Rückkehr mit 33 Beilagen 158) der Kaiserin vorlegte, enthält nicht nur erschütternde Beweise der in Böhmen herrschenden Not, sondern auch der Bedrückungen, die die Bevölkerung von Herrschaften und Beamten zu erleiden hatte. Zugleich legt es aber weit besser, als es noch so gut ge­meinte zeitgenössische Schilderungen139) vermögen, Zeugnis ab für die warmherzige Anteilnahme des Kaisers am Schicksal seiner notleidenden Untertanen. Wir finden in ihm ebenso vermerkt, daß die fürstlich Liechten- steinschen Untertanen zu Lundenburg ihre Herrschaft lobten, die ihnen das Eichelaufklauben, „von welchen sie Brod backen“, erlaubt hatte, wie daß drei Olmützer Bürger, die dem Kaiser bei seinem letzten Aufenthalt in der Stadt eine Beschwerdeschrift überreicht hatten, in das Gefängnis geworfen worden waren, „allwo sie schon etliche zwanzig Wochen liegen, und zur öffentlichen Arbeit mit putzung der Stadt angehalten werden“. Arge Unzukömmlichkeiten erfuhr Joseph über die Getreideverteilung im Magazin von Deutsch-Brod, wo der Stadtrichter Leopoldsky die Leute 3—4 Tage warten ließ „und kein Getreid ihnen erfolget, ohne Schmiralien, wenigstens in Victualien von ihnen zum Geschenk zu empfangen“. In Maschendorf und Hohenelbe, wo im Winter und Frühjahr 1770 „würklich laut Attestaten von Geistlich- und Obrigkeit viele Bettler Hungers gestor­ben“, auf den Herrschaften Lomnitz, Starkenbach und Semil fand der Kaiser ganze Dörfer, die bettelten, „und eine Menge Menschen, welche ganz erblasset, ermattet und ausgezehret die Hände um Hülfe strecken“. Spinnerei und Weberei, von denen im Gebirge 130.000 Menschen lebten, lagen gänzlich darnieder, die Ernten der letzten Jahre waren mißraten, es gab weder Vorräte, noch Nachschub, die die Not linderten. Dem Richter von Starkenbach, der sich erbot, Getreide aus Polen herbeizuschaffen, 187) Die wichtigsten Daten und Ergebnisse dieser Reise bei Arneth, a. a. O., Geschichte Maria Theresias 10, S. 46 ff. -— Die bei Robert Joseph Kerner, Bohe­mia in the eighteenth century, New York 1932, S. 401, angegebene tschechische Publikation (Frantisek Roubik, Relace cisare Josefa II o jeho cesté do Őech, Moravy, a Slezka r. 1771, Öasopis pro Déjiny Venkova s pfílohou Selsky Archiv 1926, XIII) war mir leider nicht zugänglich. 138) Darunter befinden sich zahlreiche eigenhändige Aufzeichnungen des Kaisers über Auskünfte und Gespräche mit genauen Zahlenangaben. 159) Yg-i. z. B. Franz Martin Pelzel, Kurzgefaßte Geschichte der Böhmen, von den ältesten bis auf die itzigen Zeiten, 1, Prag 1774, S. 622, und Johann Pezzl, Charakteristik Josephs II., Wien 1790, S. 28.

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