Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

486 Erika Weinzierl-Fischer Eressel nahm seinen Weg über Mähren und den Kreis Iglau, über den er schon eine Woche nach dem Vorschlag Kollowrats eingehend berichtete59). Die größte Not hatte er auf den Herrschaften Meseritsch, Trebitsch, Pir- nitz und ltudoletz gefunden, von denen auch das schlechte, vom Kreishaupt­mann Werner eingesandte Brot stammte. Dabei lägen im Kreis Znaim große Vorräte, deren Besitzer nur auf ein weiteres Ansteigen der Preise warteten60). Außerdem werde aus diesem Kreis dauernd Getreide von oberpfälzischen Fuhrleuten nach Passau ausgeführt. Besonders eingehend schilderte der äußerst temperamentvoll schrei­bende Baron die in der Stadt Iglau selbst herrschenden Verhältnisse. Nach ihm bestand die Bürgerschaft der Stadt aus Tuchmachern und Strumpf­strickern, wobei von 400 Tuchmachern 70—80 Arbeit hatten, „einige gehen betteln und singen nachts unter den Fenstern, viele liegen in ihren ver­schuldeten Häusern ohne Better auf Stroh. Man sagt einhellig, daß einige von ihnen um die Pest gebettet, und die Geistlichkeit bestätigt es, daß sie dieselben davon abmahnen müssen“. Die Schuld an diesem Elend wurde von Bürgerschaft und Kreishauptmann „den Commercial-Einrichtungen 61 62) und Bedruckungen des personalis, endlich auch der militar oeconomie zuge­schrieben“. Diese setzte die Tuchpreise so niedrig an, daß die Tuchmacher davon nicht leben, Wolle kaufen und Steuern zahlen konnten. Das Militär klage über das Commerciale, das Commerciale über das Militär, alle zu­sammen aber über die Gemeinde, die Güter im Werte von 600.000 fl. besaß und ihren Bürgern nicht half. Auch das Gubernium schien nicht schuldlos zu sein, denn einige Tuchmacher erklärten Kressei, sie müßten „ungeachtet eines ihnen publizierten Decrets, daß wofern sie noch einmal klagen, sie auf den Spielberg gesetzt werden sollen, dennoch mit einem Memoriale gerade an die Majestäten gehen, sie achteten nichts mehr“ °2). Kressei, der dies alles mit der größten Offenheit berichtete, berief sich dabei auf „die Erinnerung der allergnädigsten Worte Ihro Majestät des 59) 1771 II 23, Tschaslau. Kommission Fasz. 1, März, n. 6. 60) So hatte z. B. die Herrschaft Krumau 200.000 Metzen Getreide und der Dechant von Namiest 8000 Metzen vorrätig. 61) Über die Organisation der Kommerzbehörden, vgl. Karl Pribram, Ge­schichte der österreichischen Gewerbepolitik von 1740—1780, 1, Leipzig 1907, S. 95 ff. 62) Auf Grund der Berichte des Iglauer Kreishauptmannes und Kresseis wurden dann aus den Lagerhäusern von Göding und Pawlowitz 15.000 Metzen Getreide nach Iglau geschafft. Die Untertanen der Stadtgüter erhielten 2290 Met­zen Roggen, 664 M. Gerste, 2946 M. Hafer und 211 M. Erbsen vorgestreckt. 1862 Bürger und 820 Taglöhner bekamen vom 20. März bis 15. August 1771 auf Kosten der Stadt wöchentlich eine Militärbrotration. Außerdem befreite der Magistrat die Bürgerschaft von einigen städtischen Abgaben (Kamin- und Wachtgeld), den Tuchmachern wurden 450 fl. Steuer nachgelassen. 1771 III 8, IV 29, Berichte des mähr. Guberniums. Kommission Fasz. 1, April, n. 15; Fasz. 2, Mai, n. 47.

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