Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770—1772 485 Verminderung der Steuern und unentgeltliche Getreideverteilung vorge­schlagen, da durch dieses Elend „die übleste Folgen, ja in die Länge der gänzliche Umsturz des Landes zu befürchten“ seien49). Die Hofkanzlei sprach sich jedoch gegen eine Herabsetzung der Steuern aus, trat dafür aber für die schleunigste Zufuhr von 15.000 Metzen Roggen und 15.000 Metzen Gerste nach Iglau ein. Ferner sollte das gesamte ungarische Getreide zoll- und mautfrei eingeführt werden50). Maria Theresia, die feststellte, daß die Zoll- und Mautfreiheit bereits gewährt worden sei51), entschied dann, „daß der unterm praesidio des Kollowrath wegen einer Aushülf für Böheim allschon bestelten Commission mitgegeben werde, in gleicher Art, und unter den nemlichen Modalitäten, wie es respectu Böheim befohlen worden52 53), die schleunigste Aushülf auch für den Iglauer Kreis zu verschafen“ 63). Nun meldete sich auch der Präsident des Hofkriegsrates Feldmarschall Lacy54) zu Wort, der der Hofkanzlei am 16. Februar einen besorgniserregen­den Bericht des böhmischen Generalkommandos übermittelte. Nach diesem steige der Getreidepreis in Böhmen von Monat zu Monat und sorge die Polizei in Prag nicht entsprechend für die Durchführung der Verordnungen. Er, Lacy, sei aber überzeugt, daß ohnedies bereits alle notwendigen Vor­kehrungen getroffen worden wären, um zu verhindern, daß die für Böhmen vorgesehenen Getreidezufuhren „nicht etwa in die Hände der Vorkäufler und Wucherer gerathen“ 55 56). Der Hinweis des Militärs, daß in Böhmen sowohl einzelne Dominien als auch Privathändler und Getreidewucherer über große Vorräte verfüg­ten, veranlaßte Kollowrat noch am gleichen Tag zu einer einschneidenden Maßnahme. Er schlug vor, einen bevollmächtigten Kommissär nach Böh­men zu senden, der alle überschüssigen Vorräte erheben und deren Ver­kauf zu von ihm festgesetzten Preisen in die Wege leiten sollte58). Die Kaiserin war mit diesem Vorschlag einverstanden57) und der zum Kom­missär ernannte Hofrat Baron Kressei58) begab sich unverzüglich nach Böhmen. 40) 1771 II 12, Bericht des mähr. Guberniums, ebendort. 50) 1771 II 16, Vortrag der Hofkanzlei, ebendort. 51) Siehe oben S. 481. 52) Siehe oben S. 483. 53) Resolution zum Vortrag der Hofkanzlei vom 16. Februar, siehe Anm. 50. 54) Franz Moriz Graf Lacy (1728—1801). Vgl. Edith Kotasek, Feldmarschall Franz Moriz Graf von Lacy 1725—1801, ungdr. Diss., Wien 1945. 55) 1771 II 16, Kommission Fasz. 1, März, Nr. 2. 56) Rudolf Graf Khevenhüller-Metsch und Hanns Schiitter, Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Graf Khevenhüller-Metsch, 10, Wien-Leipzig 1925, S. 369. 57) Ebendort, S. 371 f. 58) Franz Karl Kressei Freiherr von Gualtenberg (1720—1801). Vgl. Wurz­bach, a. a. O., 13, 1865, S. 201 f.

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