Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

484 Erika Weinzierl-Fischer Gerade zu dieser Zeit hatte die Not in Böhmen einen Höhepunkt er­reicht und immer neue Hilferufe trafen in der Residenzstadt ein. Die böhmischen Stände wollten eine eigene Deputation „zu Vorstellung des heurigen allgemeinen Nothstandes“ nach Wien senden45 *), aber auch aus Mähren kamen erschreckende Berichte. So meldete der Iglauer Kreishauptmann Freiherr von Werner Anfang Februar 1772 48), daß die Not in seinem Kreis so gestiegen sei, daß zum Brotbacken nicht nur Kleie und Spreu, sondern auch „die Kappeln von Leinsaamen und die Körner von die rohte Hocken Boör“ verwendet würden. Der Genuß dieses Brotes sei äußerst gesundheitsschädlich, auf den Dörfern erkrankten ganze Familien, die „nach genußung dieses elenden Brodts halb taumlendt dahien fallen, und gleichsam von Sinnen kommen, in diesen be­trübten Umbständen verbleiben sie auch 6 bies 8 Tag“. Die meisten Winter­felder wären aus Mangel an Saatgut nicht bestellt worden, da auch die Herrschaften über keine Vorräte verfügten. Die Untertanen müßten ihr Hab und Gut versetzen, um nur ihre Steuern zahlen zu können. Aber auch in den Städten wären die Verhältnisse nicht besser. Dort würden 10 Lot Brot um 3 Kreuzer verkauft. Besonders Iglau sei völlig verarmt und er könne nicht das Haus verlassen, ohne daß ihn nicht sechs bis zehn weinende und schreiende Menschen mit aufgehobenen Händen um ein Almosen bäten. Der Kreishauptmann legte seinem Bericht an das mährische Gubernium, das ihn an die Hofkanzlei weiterleitete, 19 Laibe Brot, wie es in seinem Kreis gegessen wurde, und 12 Berichte47) von Herrschaftsbeamten und Bürgermeistern bei. Diese führten folgende Ursachen der großen Not an: Den letzten Krieg mit Preußen, die hohen Steuern und Abgaben, das Dar­niederliegen der Baumwollspinnerei und die Mißjahre 1769 und 1770. Sommer und Herbst 1770 seien so regnerisch gewesen, daß Rüben und Kraut auf den Feldern faulten und Würmer die Samen zerstörten. Das mährische Gubernium unter der Leitung des Fürsten Ernst Kaunitz48), des ältesten Sohnes des Staatskanzlers, hatte daraufhin eine Vorschuß die Obrigkeiten obberuhrter massen zu haften haben sollen, in gleicher Art auch in Ansehung der übrig abgebenden Aushülf auf die möglichste Sicher­heit für das aerarium fürzudenken seye, endlich daß, wenn allenfalls auch durch aufbringende Lieferanten noch früher, und füglicher, als durch das bestelte hungarische materiale die Aushülf in einem anständigen Preiß nacher Böheim zu verschafen die Gelegenheit wäre, hierauf nach gutbefund der Commission allerdings angetragen werden möge.“ 1771 I 18, StR.Prot. 1171/1/282. — Auf Grund der Vorstellungen des Hofkammerpräsidenten Hatzfeld (1771 III 1) wurde der Kommission dann auch ein Vertreter der Hofkammer beigezogen. 1771 III 4, Kommission Fasz. 1, März, n. 3. «) 1771 I 25, StR.Prot. 1771/1/368. «) 1772 II 2, Iglau. Kommission Fasz. 1, März, Nr. 12. 47) Beilagen zum Bericht des Kreishauptmanns, siehe Anm. 46. 48) 1737—1797). Vgl. Constantin von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich 11, 1864, S. 64.

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