Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.
482 Erika Weinzierl-Fischer Kaunitz 32) mit dem Hinweis, daß eine Ablehnung „für das modenesische Successionsgeschäft“ und die Tiroler Untertanen ungünstige Folgen zeitigen könnte, stark befürwortet worden. Der Staatskanzler schlug daher vor, keine förmliche Ausfuhrgenehmigung zu erteilen, dafür aber den Export einfach stillschweigend geschehen zu lassen33). Die Kaiserin hatte daraufhin anscheinend ihren Sohn um Rat gebeten, der sich nun ganz entschieden gegen eine Durchbrechung des Ausfuhrverbotes aussprach. Von einem derartigen Entschluß „öffentlich, oder tacite und connivendo, was noch ärger wäre, abzuweichen, scheinet Mir dem allerhöchsten Ansehen abbrüchig, und die nur leider allzusehr im schwung gehende Unentschlossenheit noch mehr zu bestättigen.“ „Kleine augenblickliche Vortheile müssen nicht haubt-Grund-Säze so mit Wohlbedacht ergriffen worden, über den hauffen werfen“ 34). Von dieser klaren Stellungnahme offensichtlich beeindruckt, lehnte Maria Theresia den Vorschlag des Staatskanzlers wirklich ab, wobei sie sich ausdrücklich auf das Urteil des Sohnes berief35). Einzig die mautfreie Transitbewilligung für italienisches Getreide wurde dem Kurfürsten von Bayern gewährt36). Wie schwer allerdings der Kaiserin diese abschlägigen Bescheide fielen, beweisen ihre in diesen Tagen niedergeschriebenen Resolutionen zu den dringenden Gesuchen der Städte Regensburg37) und Augsburg, von wo sogar ein eigener Gesandter gekommen war, um von ihr die Ausfuhrbewilligung für 3000 Metzen ungarischen Getreides zu er- wii’ken38). Und immer neue derartige Gesuche liefen ein, die von nun an ohne Zögern konsequent abgelehnt wurden39). Dafür konnte aber Joseph im Mai 1771 auch mit Genugtuung feststellen, daß trotz der großen Not in Böhmen, Mähren und Vorderösterreich der Getreidepreis in den Erblanden dank der Ausfuhrsperre noch immer um die Hälfte bis zwei Drittel 33) Wenzel Anton Fürst Kaunitz (1711—1794). Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 15, 1882, S. 487 ff. und Friedrich Walter, Männer um Maria Theresia, Wien 1951, S. 66 ff. 33) 1770 XI 17, Staatskanzlei, Vorträge Fasz. 159, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (= Vorträge). 34) 1770 XI 19, Gutachten Josephs, ebendort. 35) „der Kayser vermeint das man in nichtens abgehen könne von der gefasten speer...“. Arneth, a. a. O., S. 44. 36) 1770 XI 22, Vorträge, Fasz. 159. 37) „mir ist sehr leyd kan nicht von der resolution abgehen“. 1770 XI 20, ebendort. 88) „mir wäre lieb wan durch die gefaste resolution dise audientz mir kunte abgehalten werden wo nicht so solle er morgen sontag umb 6 uhr abends körnen.“ 1770 XI 20, ebendort. 39) Z. B. 1771 I 15, 1771 III 22, 1771 III 30: Kurbayern und alle Gesandten zum Regensburger Reichstag. — 1771 III 14: Markgraf von Anspach. Vorträge Fasz. 160. — Die einzige Ausnahme bildete die im Herbst 1771 erteilte Ausfuhrbewilligung für die österreichische (Freiherr von Borié), preußische und hanno- veranische Gesandtschaft in Regensburg. Arneth, a. a. O., S. 45 f.