Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

STRASSMAYR, Eduard: Das Archiv der Stadt Enns

444 Eduard Straßmayr räumt. Die Stadtgemeinde behielt nur die Ratsprotokolle (24 Bände), 2 Ko- pialbücher, 3 Urbare, mehrere Stadtgerichtsprotokolle, Steuer-, Wirtschafts­und Grundbücher zurück. Von den Rechnungsbüchern der städtischen Wirt­schaftszweige, den Verlassenschaftsabhandlungen und Brief Protokollen, die in Gemeindearchiven einen Hauptbestand ausmachen und die wirtschaft­liche und soziale Struktur der Bürgerschaft erkennen lassen, sind nur kümmerliche Reste vorhanden. Wie dürftig nehmen sich diese 62 Bände gegenüber 1199 Handschriften des Stadtarchivs Freistadt aus! Im Jahre 1870 wurde das Zerstörungswerk am Archiv fortgesetzt, eine Tat des geschichtsfremden Liberalismus. In der Gemeinderatssitzung vom 28. Mai teilte der Bürgermeister Leopold Peintinger mit, daß die Kosten für die Erneuerung der Kanzleieinrichtung aus dem Erlös des im Lizitations­wege verkauften Altpapiers bestritten wurden16). Zuletzt kam auch die alte Registratur an die Reihe. Dem Skartierungseifer sind sämtliche Akten seit 1850 zum Opfer gefallen. Einen kleinen Ersatz bieten nur die mit dem Jahre 1850 beginnenden Gemeinderatsprotokolle, die auch einige Lücken aufweisen. Der Papierdeckelmacher Wangenhauser hat die um den billigen Alt­papierpreis erworbenen Ennser Archivalien nicht zur Gänze einstampfen lassen, sondern mit Autographensammlern und Antiquaren auch gute Ge­schäfte gemacht. Gesucht waren Aktenstücke mit Unterschriften und Siegeln von Herrschern, Feldherrn und politisch bedeutsamen Persönlichkeiten. Für Handschriften (BriefProtokolle, Verlassenschaftsinventare, Grund- und Waisenbücher) bestand wenig Interesse, sie werden in die Papiermühle gewandert sein. Zu den Hauptabnehmern zählten die Wiener Sammler Latour und Petter. Als Karl Oberleitner, pensionierter Direktionsadjunkt des Finanzministe­riums, im Jahre 1861 die vortreffliche Arbeit „Die Stadt Enns im Mittel- alter“ veröffentlichte17), brachte er zahlreiche Schriftstücke des 15. Jahr­hunderts mit dem Vermerk „In der Documentensammlung des Herrn Karl von Latour in Wien“ zum Abdruck. Der Konzeptsadjunkt des Finanzministe­riums, Karl Leopold Latour von Thurmburg, Bruder des Josef Latour, kaiser­lichen Flügeladjutanten und Erziehers des Kronprinzen Rudolf, hatte im Jahre 1858 der Direktion der Wiener Hofbibliothek eine „höchst wertvolle Sammlung von Autographen und historisch wichtigen Aktenstücken“, unge­fähr 6000 Stücke in 45 großen Faszikeln, um 3000 Gulden zum Kaufe ange- boten18). Das Obersthofmeisteramt hatte aber diese Erwerbung im Hin­blick auf den archivalischen Charakter der Mehrzahl der angebotenen Gegenstände und in Anbetracht der knappen Geldmittel abgelehnt. 16) Gemeinderatsprotokoll vom 28. Mai 1870. 17) Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen, Bd. 27 (Wien 1861). 18) Schriftliche Mitteilung der Generaldirektion der Nationalbibliothek vom 11. Juli 1934 an den Obmann des Museumsvereines „Lauriacum“ in Enns, Primär Dr. Josef Schicker. Stadtarchiv Enns, Archivgeschichtliches.

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