Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
BENNA, Anna Hedwig: Studien zum Kultusprotektorat Österreich-Ungarns in Albanien im Zeitalter des Imperialismus (1888–1918)
Anna Hedwig Benna 32 gegenüber einer derartigen Anregung100). Goluchowski antwortete dem deutschen Botschafter Eulenburg, eine derartige Anregung sei zwar weder von Seiten Frankreichs noch von Seiten des Vatikans erfolgt, doch werde die österreichisch-ungarische Regierung dem Wunsche des Berliner Kabi- nettes umso eher willfahren, da sie selbst nicht gesonnen sei, sich die ihr bezüglich ihrer Nationalen im Heiligen Land zustehenden Rechte schmälern zu lassen 101). Die Haltung der deutschen Regierung in der Protektoratsfrage unterschied sich wesentlich von dem Standpunkt, den Italien in dieser Frage seinem Bundesgenossen gegenüber einnahm. Die deutsche Regierung vertrat hinsichtlich des österreichisch-ungarischen Kultusprotektorats in Albanien den Standpunkt einer unbedingten Respektierung dieses alten Rechtes, enthielt sich jeder grundsätzlichen, öffentlichen Erörterung und anerkannte Österreich-Ungarns Sonderrechte in Albanien102). Italien nahm gegenüber Österreich-Ungarn in dieser Frage die Stellung des Nichtbesitzers zum Besitzer ein. Es wurden von italienischer Seite alle nur möglichen Versuche gemacht, um Italien eine Beschützerrolle zu vindizieren. Im Kraftfeld dieser politischen Verflechtungen lag Albanien, dessen Küstenlage den italienischen Expansionswillen in ganz besonderem Maße anzog. Seit den Neunzigerjahren konzentrierten sich die italienischen Bemühungen auf diesen Teil des Türkischen Reiches, der infolge des katholischen Elementes im Norden einer kulturellen Durchdringung weitgehende Möglichkeiten bot. In den Ordensniederlassungen überwog das italienische Element, die Missionsschulen lehrten in italienischer Sprache, einen einheimischen Klerus gab es nicht. Zwischen Italien und Österreich-Ungarn war wohl 1891 eine Einigung über die Erhaltung des status quo auf dem Balkan zustande gekommen, Österreich-Ungarn und Italien verpflichteten sich, jeder Gebietsänderung, welche eine oder die andere gegenwärtige Signatarmacht schädigen könnte, entgegenzuwirken 103). 1897 vereinbarten Goluchowski und Visconti-Venosta, wenn es nicht gelingen sollte, den status quo auf dem Balkan aufrechtzuerhalten, die Bildung unabhängiger Balkanstaaten durchzusetzen104). Von Seiten Österreich-Ungarns hoffte man auf die Errichtung eines selbständigen Albanien. Die Errichtung eines unabhängigen Albanien und die Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn war von Seiten der Monarchie mit 100) Ebenda, Bericht Szögyeny, Berlin 21 A—D, 1902 Mai 22. 101) Ebenda, Weisung an Szögyeny (Berlin), 1902 Juni 4. 102) Vg-]. oben, Anm. 100. 103) Dreibumderneuerung von 1891, Art. VII. Vgl. A. F. Pribram, Die politischen Geheimverträge Österreich-Ungarns (1879—1914), 1 (1920), 64 f., 208 f., The Secret treaties of Austria-Hungary 2 (1921), 98, 99. 104) Vgl. M. Claar, Abkehr Italiens vom Dreibund und das Kabinett Zanardelli-Prmetti 1901—03 (Europäische Gespräche 8, 1930), S. 428. Zwanzig Jahre habsburgische Diplomatie in Rom 1895—1915, Berliner Monatshefte 15 (1937), 544. Winter, a. a. O., S. 106.