Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
BENNA, Anna Hedwig: Studien zum Kultusprotektorat Österreich-Ungarns in Albanien im Zeitalter des Imperialismus (1888–1918)
18 Anna Hedwig Benna wenn diese Entscheidung, welche, wie Okoliczanyi27) annahm, eine deutliche Spitze gegen die italienischen Prätensionen enthielt. Rampolla hatte sich unter dem Eindruck der italienischen Haltung zu einer Unterstützung des Begehrens des französischen Botschafters Lefebvre de Béhaine 28) entschlossen und von einer Kongregation das bewußte Dekret, das dann von der Propaganda an die Missionen im Orient erging, verfassen lassen. Dabei zeigte sich eine Differenz in den Auffassungen der Propaganda und des Kardinalstaatssekretärs. Die Propaganda neigte mehr einem Abbau der Protektorate über die Missionen überhaupt zu — eine Auffassung, welche, wie der geschichtliche Ablauf bewies, die Zukunft für sich hatte 29) — der Kardinalstaatssekretär zog es vor, sich des französischen Protektorates im Orient und des österreichisch - ungarischen Protektorates auf dem Boden der europäischen Türkei, in Zentralafrika und Oberägypten zu bedienen, die ihm geeigneter für die Durchsetzung der kirchlichen Interessen erschienen als das unverhüllte italienische Expansionsstreben, das darnach strebte, unter offener Gegnerschaft gegenüber vitalen kirchlichen Interessen, kirchliche Institutionen den eigenen politischen Bestrebungen dienstbar zu machen. Die Frankophilie Leos XIII. und Ram- pollas mag auch aus diesen Tatsachen ihre Erklärung finden; Ende der Achtzigerjahre nahmen Leo XIII. und Rampolla die Aussöhnung der Kirche mit der Dritten Republik in Frankreich in ihr Programm auf, trotz starker antikirchlicher Strömungen innerhalb der republikanischen Partei erschien Frankreich ein geeigneterer Partner einer gemeinsamen Politik als das Königreich Italien, welches außer den antikirchlichen Strömungen noch mit der Hypothek der Zerstörung des Kirchenstaates belastet erschien. Bei der Entscheidung für den status quo in der Protektoratsfrage wollte Leo XIII. zunächst die Absage an Italien nicht mit einer Stärkung des französischen Einflusses im Orient, der aus der praktischen Durchführung des Dekretes erwachsen mußte, erkaufen, ließ sich jedoch von seinem Staatssekretär eines Besseren belehren und stimmte dessen realpolitischen Erwägungen zu 30). Österreich-Ungarn erlitt durch dieses Dekret keine Einrecurrant. In his etiam locis missionum, in quibus Austriacae nationis protectio invaluit, pariter absque immutatione teneatur. Abschrift als Beilage im Privatbrief Okoliczanys an Kálnoky, Rom 1888 August 14. (PA XII, 235). Okoliczanyi wurde wegen Übersendung des Textes durch einen außerordentlichen Kurier von Kálnoky getadelt, vgl. PA XII, 235. Weisung Kálnokys an Okoliczanyi, 1888 August 21. 2?) Alexander von Okoliczanyi, Agent der geistlichen Angelegenheiten an der österreichisch-ungarischen Botschaft beim Hl. Stuhl. 28) Vgl. Lammeyer, a. a. O., S. 80. Pin on, a. a. O., S. 343. 29) Vgl. J. T h aur en, Missionsigebriff und Missionsbegründung in der Sicht der Theologie der jüngsten Epoche (Theologische Fragen der Gegenwart, Festgabe für Theodor Innitzer, 1950), S. 39, Anm. 13. so) PA XII, 235. Privatbrief Okoliczanyis an Kálnoky, 1888 August 14. Auszug aus einem Brief Okoliczanyis an Kalnoky, 1888 September 7.