Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 6. (1953)
BENNA, Anna Hedwig: Organisierung und Personalstand der Polizeihofstelle (1793–1848)
214 Anna Hedwig Benna Kaiser Josef II. bestanden hatte, beauftragte92). Zunächst glaubte die Hofkanzlei, die Zeit sei wieder gekommen, die ihr von Josef II. und Leopold II. entwundene Kompetenz in Polizeiangelegenheiten zu vindizieren. Eine Gelegenheit, die n.-ö. Regierung anzugreifen, bot sich bald. Der, anläßlich der Verrechnung von geheimen Polizeiauslagen, vom Hofrat Sonnenfels verfaßte und vom Obersten Kanzler Kollowrat einbegleitete Vortrag übte schärfste Kritik an der Tätigkeit und Organisierung der geheimen Polizei unter Leopold II.93). Sonnenfels ging von der Frage aus, ob es rätlich sei die ausspähung in den plan der polizei aufzunehmen und ob letztere zur besorgung der polizei ein von allen seiten unnachtheiliges mittel sei94). Sonnenfels hielt eine geheime Aufsicht zur Erreichung des Ziels, der inneren Sicherheit, für nützlich. Der Zustand der inneren Sicherheit war nur dann erreicht, wenn der Staat von seinen bürgern nichts zu fürchten hatte95). Im Gegensatz zur Notwendigkeit der geheimen Aufmerksamkeit des Staates für die Handlungen seiner Untertanen, verwarf Sonnenfels die Ausspähung. Als Gründe für die Unzuverlässigkeit der bestehenden, geheimen Polizei führte er die Gewinnsucht der Polizeivertrauten an, die oft falsche Informationen lieferten, ferner, daß die Polizeibehörden der Oberaufsicht der Hofkanzlei, als der politischen Zentralbehörde, entzogen seien und dieser mithin nicht mehr als dem Publikum bekannt seien96). Kollowrat unterstrich in seiner Note die Ausführungen Sonnenfels bezüglich der Sonderstellung der n.-ö. Regierung in Polizeisachen und kritisierte die Tätigkeit der Bezirksdirektoren und der Oberdirektion, die sich in eine schreibende Stelle verwandelt hatte97), und verlangte schließlich die Unterordnung des gesamten Polizeiapparates unter die Hofkanzlei98). Die Staatsräte, welche sich mit dieser Ausarbeitung zu befassen hatten, hoben einstimmig die in Sonnenfels Memorandum zum Ausdruck kommende, persönliche Animosität des berühmten Staatsrechtslehrers gegen die n.-ö. Regierung in ihrer damaligen Zusammensetzung, der der berühmte Mann schon lange nicht mehr angehörte, in deren Verband er jedoch unter Maria Theresia das Polizeireferat geleitet hatte, 92) Vgl. unten S. 18 f. 93) STR 4293/1792, Note Kollowrats (1792 August 8) mit Vortrag Sonnenfels, dazu Benna, a. a. O., S. 126, 127, 176 f. 94) Ebenda. 95) J. v. S o n n e n f e 1 s, Grundsätze der Polizei, Handlung und Finanz 3 (1786), S. 18, Benna, S. 18. 98) Ebenda, Benna, S. 177. 97) ST R 4293)1792, Benna, a. a. O., S. 178 ... gegen alle begriffe der polizei im gang der gesch&fte umtrieb herrsche, dass den bezirksdirektoren durch nutzlose Schreibereien die zeit für ihre eigentlichen Verrichtungen genommen werde, die polizeioberdirektion sich in berathschlagende und anordnende beamte gespalten habe, dass die polizei überhaupt aus einer ausübenden, handelnden anstatt in eine schreibende stelle umgewandelt ist und dadurch ausser der ihr zukommenden Wirksamkeit gesetzt ist. 98) Ebenda, Benna, a. a. O., S. 178.