Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
206 Ferdinand Hauptmann und zweideutige Politik Serbien nur schaden; nur offene Stellungnahme zu einer der Mächte konnte ihm deren Unterstützung im Kampfe um die Erweiterung seiner Grenzen sichern. Deshalb zog Milan den notwendigen Schluß, „Serbien muß sich zwischen Österreich und Rußland entscheiden“ 85), umsoeher, als er mit einem baldigen Krieg zwischen diesen beiden Mächten rechnete. Nach allem, was er seit San Stefano erlebte, blieb kein Zweifel, für welche Seite er sich entschließen werde. „Ich weiß recht gut... daß Rußland nicht bloß im Falle einer Verwicklung uns nicht schützen wird, sondern daß es jederzeit bereit ist, für andere Vorteile im Orient unsere Interessen aufzugeben“ 811) • Demgegenüber war er von der Notwendigkeit eines guten Verhältnisses zu Österreich durchdrungen, „von dem allein Serbien etwas zu fürchten und zu hoffen habe“ 87), zumal, da er die Stärke der österreichischen Position im Wachsen sah, 1879 durch den Zweibund, 1881 durch die augenscheinliche Annäherung Rußlands an die Mittelmächte, welch letzte Tatsache seiner Meinung zufolge nicht verfehlen würde, auch auf Italien ihre Anziehungskraft auszuüben. Außerdem schien es damals, als ob die Balkanfrage in kürzester Zeit wieder aufgeworfen werden würde, und für diesen Fall war die Anlehnung an eine Großmacht dringend geboten, um in der Rivalität mit Bulgarien nicht allein zu bleiben. Es ginge in diesem Falle um die Sicherung der freien Entwicklung Serbiens nach dem Süden, die von Bulgarien streitig gemacht wurde. Schon eine Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien erfüllte deshalb die serbischen Staatsmänner mit größter Besorgnis. „Uns Serben kann diese Änderung und Vergrößerung Bulgariens keinesfalls angenehm berühren, ja diese Vorgänge, die sich an unserer Ostgrenze demnächst abspielen dürften, flößen uns gerade die größte Besorgnis ein“, denn „wir kennen auch ganz gut ihr mot d’ordre (der Bulgaren) bezüglich Serbiens, welches dahin lautet: Bulgarien bis an die Morava“ 88). Gleichermaßen besorgt sprach sich nach seinem Wiener Besuch (im Juli 1880) der Fürst über die Gefahr aus, die Serbien und Österreich drohe, wenn auf dem Balkan ein slavischer Staat entstehen würde, der viel stärker als Serbien wäre; demgemäß betonte er, daß „das Interesse und die Zukunft Serbiens dieses Land anweisen, sich in politischer Hinsicht eng und aufrichtig an die Monarchie anzuschließen“ 89). Dadurch entrann er derjenigen Möglichkeit, die ihm Haymerle so lebhaft mit den Worten vor Augen führte: „Die Dinge im Orient seien noch nicht definitiv ausgetragen, und es wäre an den Serben zu bedenken, wie sich bei einer neuen Komplikation ihre Situation zwischen Bosnien und Rumänien mit einem feindseligen Bulgarien vor sich, gestalten könnte“ ®°). Klare Option für Österreich war somit das Gebot der Stunde; das Zweifrontensystem der serbischen Politik, die makedonische Front gegen Bulgariein-Rußland und die bosnische gegen Österreich, mußte zugunsten der makedonischen Orientierung verengt werden. Der Verzicht auf Bosnien war der Preis, den Serbien, offen den neuen Umständen, zu zahlen hatte.