Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

204 Ferdinand Hauptmann Und tatsächlich war Haymerle in Friedrichsruh schon mit einem ge­nauen Programm der österreichischen Balkanpolitik aufgetreten. Das zu­künftige Großbulgarien durfte nach ihm weder im Süden noch im Westen die damaligen Grenzen Bulgariens bzw. Ostrumeliens überschreiten; Make­donien, d. h. das Vardartal, mußte vollkommen frei bleiben. Haymerle be­richtet darüber seinem kaiserlichen Herrn: „Wenn durch die bulgarische Union dem russischen Einfluß ein so großer Spielraum gewährt werde, müssen wir, fuhr ich fort, destomehr dafür sorgen, daß die Grenzstaaten unserem Einfluß nicht entrückt werden. Wir bedingen freie Hand gegen Serbien, falls uns dessen fortgesetzt feindselige Haltung zwingen sollte, mit energischeren Mitteln als bloß handelspolitischen gegen dasselbe vor­zugehen, wobei uns jedoch nicht der Gedanke einer Eroberung leitet, son­dern wir nur das Ziel im Auge haben, aus dem bösen Nachbar einen guten zu machen. Dieser Eventualität könne Kußland leicht Vorbeugen, wenn es Serbien zu einer freundlichen Haltung bestimmen würde. Ich warf ferner den Gedanken hin, daß wir im Falle der Union vielleicht in der Lage sein werden, eine Gebietsentschädigung zu Gunsten Rumäniens zu befürworten, da die Verstärkung Bulgariens ohne Zweifel das durch den Berliner Frieden geschaffene Kräfteverhältnis zwischen den Balkanstaaten verrückt und Rumänien sich hierdurch sehr bedroht fühlt. Endlich könnte Rußland unsere Zustimmung erleichtern, wenn es der Entwicklung der Dinge in Bulgarien einigermaßen den russischen Charakter benähme und den national bulgarischen an dessen Stelle treten ließe. Bei dieser Gelegen­heit entwickelte ich auch dem Fürsten Bismarck, wie sehr uns die Sicher­heit Rumäniens gegen einen russischen Durchmarsch am Herzen liege ...“ 75). Es ist erstaunlich, daß Bismarck die energischeren Mittel gegen Serbien und die Kompensationen für Rumänien als „etwas weitgehend“ fand76). Er hatte nicht bemerkt, welchen Wert Haymerle diesem Punkte diesmal beimessen mußte, um im Momente, in dem Österreich sich vertraglich band, seine Hände von Bulgarien zurückzuziehen, die Sicherung der eigenen Posi­tion in den übrigen Balkanländern zu erlangen. Er hatte diese Stelle so wenig beachtet, daß er in seiner Aufzeichnung über diese Unterredung von mehr als handelspolitischen Zwangsmaßregeln gegen Serbien kein Wort erwähnte77). Das mußte befremdend wirken, da er in diesem Falle seinem Plane einer Teilung der Interessensphären auf dem Balkan untreu wurde. Er ei'wartete zwar von Österreich, daß es Bulgarien Rußland überlassen werde, fand aber die konsequente Überlassung Serbiens an Österreich als zu weitgehend, obwohl ihm sonst daran gelegen war, Österreich auf dem westlichen Balkan stark zu sehen78). So hatte er wiederholt die österreichischen Forderungen in Belgrad während der Eisenbahnvertrags Verhandlungen 79), und auch auf handels­politischem Gebiete unterstützt80). Wenn er nun in Friedrichsruh den neuen österreichischen Kurs gegen Serbien nicht recht gut hieß, wird das

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