Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

196 Ferdinand Hauptmann Allein, das unerwartete Festhalten Österreichs an den Rechten des 62er Vertrages war insoferne schwierig, als man seinerzeit weder gegen die provisorischen Meistbegünstigungsverträge Serbiens, noch gegen den definitiven Vertrag mit Großbritannien, noch auch gegen Ristic’ Erklärung protestiert hatte: „Er vindiciere für Serbien als unabhängigen Staat das Recht, nach seinem Gutdünken mit dieser oder jener Macht was immer für Handelsverträge zu schließen und betrachte Serbien diesfalls der öster­reichisch-ungarischen Monarchie gegenüber nur durch die Bestimmungen über die Regelung des Grenzverkehres vermöge der Konvention vom 8. VII. v. J. in besonderer Weise gebunden“ 3ä). Ristic hatte dieses verhängnisvolle Schweigen Österreichs sehr begreif­lich als stille Anerkennung seines Standpunktes aufgefaßt. Befangen infolgedessen in dem Glauben, die Monarchie lasse sich alles widerspruchslos gefallen, beantwortete er nun den Schritt Chlumeckys damit, daß er Öster­reich das Recht auf Meistbegünstigung überhaupt abstritt (14. VI. 1880 ) 33). Er wollte sie erst auf Grund eines neuen Vertrages zu geste­hen. Denn hätte er dem nördlichen Nachbar die Meistbegünstigung als ein schon auf Grund des Vertrages von 1862 bestehendes Recht anerkannt, so wäre der Sinn des englisch-serbischen Abkommens illusorisch geworden, Ristic hätte ihn nicht als Pressions- und Kompensationsmittel für die Verhandlungen mit Österreich benützen können. Der österreichisch-serbische Gegensatz spitzte sich mithin hier zur Kraftprobe zu, wessen Anschauung durchdringen werde. Wie wenig ernst Ristic zunächst das energische Auftreten Chlumeckys nahm, zeigt der Vorschlag der serbischen Handelsdelegation in Wien, man solle die Verhandlungen ohne Rücksicht auf den Streit um die Meistbegün­stigung auf nehmen, und das Streitobjekt zur Lösung den beiden Regie­rungen überlassen (23. VIII. 1880) 34). Es berührt Ristic deshalb äußerst unangenehm, als Österreich den serbischen Vorschlag nach vorläufiger gegenseitiger Zugestehuing der Meistbegünstigung zurückwieh und als conditio sine qua non für die weiteren Verhandlungen die vorhergehende Anerkennung des österreichischen Meistbegünstigungsrechtes verlangte35). Denn er befürchtete zwar nicht, daß Österreich nach Anerkennung dieses Rechtes sein Interesse an einem neuen Handelsverträge verlieren könnte36), wohl aber begriff er, daß ihm dadurch ein Pressionsmittel aus der Hand geschlagen würde, das er selbst bei den Verhandlungen hatte anwenden wollen. Haymerle war aber diesmal entschlossen, nicht nachzugeben, denn er faßte „ein solches Leugnen unseres bereits bestehenden Meistbegün­stigungsanspruches nicht bloß als Schädigung unserer Interessen, nicht allein als Streit um das Recht, sondern als eine Beleidigung auf, ein Vor­gehen, das man dem letzten Staate nicht bieten könnte, indem man uns von der Stellung einer Nation, die nicht nur den Anspruch der Meistbegün­stigung hatte, sondern auch tatsächlich meistbegünstigt war, auf das Niveau der mindestbegünstigten herabdrücken wollte. So z. B. brauche

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