Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
194 Ferdinand Hauptmann wirtschaftlichen Fragen, in der serbischen Konvention die österreichischen Forderungen scharf und bis ins Kleinste zur Geltung bringen wollte, hatte sich Ristic darüber bei Andrássy beklagt. Dieser gab ihm darauf teils durch Wort, teils durch Augenzwinkern zu verstehen, daß er von diesen Forderungen seines Sektionschefs gar nichts wüßte, und man übrigens nicht alles so ernst nehmen dürfe, was sein Sektionschef sage19). Bei diesem Schwanken in der eigenen Auffassung w,ar es kein Wunder, daß die Fachmänner im Handelsministerium für die Verhandlungen mit Serbien nicht nur die Möglichkeit eines Zollbundes im Auge behalten mußten, sondern auch die eines Vertrages mit differentieller Begünstigung Österreichs, oder auch eines bloßen Meistbegünstigungsvertrages 20). Dieses mangelnde wirtschaftliche Verständnis Andrássys verhinderte ferner, daß man sich in den kritischen Monaten zu Anfang des Jahres 1879 rechtzeitig über die Haltung gegenüber Serbien einigte, und Ristic wäre schließlich nicht jener geschickte Staatsmann gewesen, der er war, hätte er diese Passivität Österreichs nicht für sein Land ausgenützt, in diesem Falle durch den Handelsvertrag mit Großbritannien. Gewiß war die Tragweite des englischen Vertrages durch seinen provisorischen Charakter sowie durch die Tatsache beschränkt, daß er und die darauffolgenden Verträge in ihrer Dürftigkeit doch mehr die Flitterwochen der Selbständigkeit wiederspiegelten. Aber daneben stärkte dieser Vertrag doch die serbische Stellung gegenüber den österreichischen Forderungen, die aus der Berliner Konvention entspringen konnten. Wäre nicht das gerade sein Hauptzweck gewesen, so hätte sich Ristic wahrscheinlich mit dem Abschlüsse der provisorischen Verträge begnügt, wodurch ja das Streben in Erfüllung gegangen wäre, als selbständiger und gleichberechtigter Partner aufzutreten, und dann den Abschluß des wirtschaftlich notwendigen Vertrages mit Österreich betrieben21). So aber beeilte er sich, den provisorischen Vertrag mit England schleunigst in einen definitiven umzuwandeln. Er beanspruchte in den folgenden Verhandlungen durchwegs die Entschließungsfreiheit hinsichtlich der serbischen Zollpolitik und fühlte sich Österreich gegenüber nur durch die Bestimmungen der Berliner Konvention gebunden, die den Grenzverkehr betrafen22). Er ignorierte somit auch den Vertrag von 1862 und hielt faktisch an der zollpolitischen Einstellung und Entwicklung von 1864 an fest. Erleichtert wurde ihm diese Stellungnahme dadurch, daß mittlerweile Haymerle das mißliche Erbe Andrássys übernommen hatte und nicht recht von Serbien mehr verlangen konnte, als daß es sich bei Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Großbritannien jeder differentiellen Begünstigung des englischen Handels enthalte23). Soviel war Ristic auch entschlossen zuzugestehen, aber es kostete ihn Mühe, diesen Standpunkt im englischen Vertrag durchzusetzen, denn Großbritannien wollte einerseits die freie Einfuhr von Eisenwaren, Lokomotiven und landwirtschaftlichen Geräten erlangen, andererseits aber bei den Er-