Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 193 Gegensatz zwischen dem status quo de jure (1862) und dem de facto (1864) in Serbien aus. Worauf bezogen sich dann die „conditions actuelles de relations commerciales“ des Berliner Kongresses — auf das Verhältnis vom J. 1862 oder von 1864? Zieht man das letztere in Betracht, was den serbischen, nicht aber den österreichischen Interessen entspräche, so wäre der englische Vertrag allerdings möglich und erlaubt; stellt man sich dagegen auf die 62er Basis, dann bleibt das Recht auf differentielle Begünstigung Österreichs auch nach 1878 aufrecht, ist also streng genommen die im allgemeinen zugestandene Meistbegünstigung an England ungültig, da sie gegen die noch bestehenden Verträge verstößt. „Sollen wir“ — so ruft der Abgeordnete Neuwirth deshalb im Reichsrate aus — „etwa den Art. II der Additionalacte vom Jahre 1862, jenen Artikel, der uns das gute Recht auf einen bloß dreipercentigen Zoll ad valorem in Serbien einräumt, jetzt etwa wirklich und definitiv austauschen gegen einen serbischen Zolltarif, in welchem 2180 Tarifposten mit 145 Abtheilungen enthalten sind, von welchen bloß 107, also nicht einmal 4 Percent davon, einem Zolle von 3 Percent ad valorem unterworfen sind, während bei den restlichen 1848 Tarifposten der Einfuhr ein weit darüber hinausgehender Zollsatz bis zu 10 und 12 Percent zur Anwendung kommt? Sollen wir diesen Artikel II wirklich austauschen gegen einen Zolltarif, der auf den österreichischen Zucker eine Supertaxe von 3 fl. 30 kr. Gold pro Zollzentner, auf Spiritus eine Supertaxe von 33 fl. Gold per Eimer legt? Sollen wir, meine Herren, auf unsere Kosten die Selbständigkeit bezahlen, welche Serbien vorwiegend unter Einflußnahme unserer Vertreter auf dem Berliner Congresse erlangt hat? Und spielt endlich bei dem, was sich jetzt in Belgrad ereignet hat, Österreich selbst nur mit Rücksicht auf den famosen Vertrag vom 8. VII. 1878 eine seiner Großmachtstellung würdige Rolle?“ 17). Andrássy war Ende 1878 der Anschauung gewesen, daß unter den conditions actuelles der Stand von 1862 zu verstehen sei, ebenso hielt Chlumecky, der österreichische Handelsminister, bei der Beantwortung von Neuwirths Interpellation an dem Vertrage von Pozarevac und dem von 1862 fest; aber es war keine Festigkeit in diesen Überzeugungen. Um bei Andrássy zu bleiben, so hatte er fast unmittelbar nach seiner obigen Erklärung schon wieder bezweifelt, ob man über einen Meistbegünstigungsvertrag mit Serbien überhaupt hinauskommen könnte, womit er eigentlich den Wert seines eigenen Werkes, der Berliner Konvention, in Frage stellte und im Vorhinein schon auf jeden weiteren Erfolg verzichtete. Nichtsdestoweniger erwähnte er im März wiederum die Möglichkeit einer Zollvereinigung mit Serbien18). Man braucht sich in diesem Zusammenhang nur an die Eindrücke erinnern, welche Ristic über Andrássy während des Berliner Kongresses gewonnen hatte. Als Freiherr von Schwegel, Andrássys Sachverständiger in 13 Mitteilungen, Band 5