Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
180 Ferdinand Hauptmann schreiben, denn seine Anhänger in der Skupstina, die immerhin auch aus den Vertretern der oberen Schichten bestanden, waren durch den langjährigen Besitz der Macht unfähig geworden, sich mit der Opposition zu schlagen. „Die Regierungstreuen kamen mir denkfaul vor, selten war einer von ihnen schlagfertig“ 228). Unter diesen Umständen sind die andauernden Erfolge Ristié’ in der Skupstina 229) umso höher zu bewerten, und die Ansicht des österreichischen Legationssekretärs Pinter war durchaus gerechtfertigt, daß „wenn Herr Ristic in einer oder der anderen Affaire mit uns auf unüberwindliche Schwierigkeiten hinweisen sollte, so kann man dies als nicht stichhaltig ansehen, denn auch die nächste Skupstina... wird das thun was Herr Ristic will. Ob er nun mehr oder weniger im Volke verhaßt war, spielte dabei keine große Rolle. Er wird wie bei der vergangenen, so auch bei der nächsten Session keine unüberwindlichen Schwierigkeiten finden, während sein eventueller Nachfolger allerdings Neuwahlen ausschreiben müßte“ 230). Das Entscheidende war aber, daß Österreich an einen Regierungswechsel gar nicht denken konnte, denn die Opposition der letzten Skupstina war zwar stark231), auch gut organisiert und bereitete unter der Führung des Pasié der Regierung auch manche Unannehmlichkeit, aber da sie sich hauptsächlich aus Bauern zusammensetzte, fehlte ihr das höhere Wissen, so daß niemand an ihre Regierungsfähigkeit glaubte 232). Eine regierungsfähige Gruppe trat aber damals doch in Erscheinung — die Jungkonservativen, oder wie sie sich nannten, die Fortschrittpartei unter Pirocánac, Mijatovic, Garasanin und Novakovic. Das waren alles hochbegabte Politiker, Literaten, Wissenschaftler, kurz die Blüte der damaligen serbischen Intelligenz; sie saßen aber nicht in der Skupstina, da sie Ristié durch sein Wahlgesetz wohlweislich femgehalten hatte. Österreich konnte aber auch von einer Regierungsbildung durch diese Gruppe nichts Günstiges erhoffen, denn das Programm, das in ihrem Blatte „Videlo“ (Der Ausblick) damals entwickelt wurde, war ganz im Stil der Politik des alten Garasanin und des Fürsten Mihajlo gehalten — also Bund der Balkanvölker und Vereinigung aller Serben 233). Was die Eisenbahnangelegenheit betraf, so zeigte sich diese Gruppe als noch entschiedenerer Gegner der österreichischen Forderungen als selbst Ristié 234). Somit war der eine Teil der serbischen Opposition noch nicht regierungsfähig, der andere aber ein offener Gegner Österreichs. Unter diesen Verhältnissen blieb Österreich nichts anderes übrig, als sich mit Ristié, so gut es eben möglich war, abzufinden. Wenn dieser Österreich oftmals auch große Schwierigkeiten bereitete, so hatte er andererseits doch auch wieder den Eisenbahn vertrag in der Skupstina durchgesetzt. Österreich setzte Ristié wohl manchmal unter Druck, urgierte zu diesem Zwecke die Lösung der Judenfrage, die Ristié immer verschob, weil er in diesem Falle Wahlen für die große Skupstina hätte ausschreiben müssen, die eine bedeutende Verstärkung der Opposition mit sich bringen mußten. Deshalb mußte jede Pression in dieser Richtung der Beschleuni