Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 181 gung seines Sturzes gleichbedeutend sein, den Haymerle aber damals nicht vorhatte. Er wollte die Judenfrage lediglich als Pressionsmittel für Ristic verwenden 23ä) und hoffte im übrigen doch, mit ihm arbeiten zu können, um dadurch den austrophilen Kurs in Serbien durchzusetzen. Die serbische Intelligenz war damals, wie früher, Österreich abgeneigt, beim Volke jedoch war diese Abneigung noch nicht so stark aufgetreten; das Gegenteil allerdings auch nicht. Es bestand deshalb vielleicht die Möglichkeit, die Sympathien des Volkes für Österreich unter Umgehung der mittleren Schichten zu wecken'236). Die Fähigkeiten Ristié’ in der Behandlung seiner Bauern konnten hier gute Dienste leisten. „Bleibt Herr Ristic (an der Macht) und schließt er sich uns nicht ganz an, dann wird auch ein innigeres Verhältnis im Volke für eine Annäherung an uns vielleicht einzelnen vorschweben, nimmermehr aber in die Masse des Volkes dringen, denn weder er noch seine Organe werden für uns Propaganda machen; umgekehrt, bleibt Ristic und können wir ihn für uns gewinnen, was ich für schwer, aber nicht für unmöglich halte, dann wäre auch Herr Ristié der Mann wie kein zweiter, alle wenn noch so heikle Fragen mit Kraft und Geschick durchzuführen“ 237). Bei dieser hohen Einschätzung des serbischen Staatsmannes in Österreich war Herberts Vorschlag verständlich, die Annahme des Eisenbahnvertrages durch die Skupstina zum Anlaß zu nehmen, um durch Verleihung einer Auszeichnung Ristic auch weiterhin in dieser für Österreich günstigen Stimmung zu erhalten 238). In Anbetracht der schwankenden Haltung, die Ristic schon mehrmals in den letzten Monaten gezeigt hatte, erschien dieser Versuch am Vorabend der Handelsvertragsverhandlungen noch viel begründeter. 4 * 6 4. *) In den Eisenbahnangelegenheiten sollte die Viererkommission sofort nach dem Schluß des Kongresses zusammentreten, während die Handelsvertragsverhandlungen spätetens vier Monate nach diesem Zeitpunkt beginnen sollten. 2) Berichte Wredes an Andrássy. Belgrad, den 9. VIII. und 21. XI. 1878 (HP 1879, 1878). 3) Ristic an Wrede. Belgrad, den 13/25. XI. 1878; Cukié, der serbische Vertreter in Wien, an das k. und k. Ministerium des Äußeren. Wien, den 5. 11/24. I. 1879 (beides HP Del. 1880). 4) Herbert an Andrássy. Sémiin, den 13. III. 1879; Berichte Herberts an Andrássy. Belgrad, den 6. und 10. IV. und 26. III. 1879 (HP 1879). 5) Begleitschreiben Andrássys für beide Handelsminister zu dem Berichte Wredes vom 12. XI. 1878. Wien, den 22. XI. 1878; Wrede an Andrássy. Belgrad, den 21. XI. 1878 (HP Del. 1878). 6) Uhlirz M.: Handbuch der Geschichte Österreichs und seiner Nachbarländer Böhmen und Ungarn. II/2. Graz-Wien-Leipzig 1941. S. 948. 7) Wertheimer: Andrássy. III. S. 164ff. 8) Andrássys Begleitschreiben für die beiden Handelsminister und den ungarischen Verkehrsminister zu dem Berichte Herberts vom 21. XI. 1878. Wien, den 6. XII. 1878 (HP 1878).