Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

174 Ferdinand Hauptmann aber sollte nach Haymerle nicht gerüttelt werden durch Uneinigkeit der Mächte. Die Hauptgefahr drohte in dieser Beziehung offensichtlich von Rußland. Doch Haymerle suchte sie — im Gegensatz zu Bismarck — nicht durch ein neues Übereinkommen mit dieser Macht zu beseitigen, denn auf diese Weise hätte er selbst die Basis des Berliner Vertrages durchlöchert, wie das teil­weise im Drei-Kaiser-Bündnis von 1881 geschah. Sein „sehnlicher“ Wunsch aber war, diese Basis nicht durch eine „Verständigung“ mit Ruß­land preiszugeben m). Eifrigst strebte er daher, sich im Rahmen einer allgemeinen Friedenspolitik gegen eine mögliche Änderung des Status quo im Oriente durch Rußland der Hilfe Englands zu versichern. Die wachsende Intimität mit dieser Macht hatte denn auch bei Hay- merles Amtsantritt erneute Bestätigung gefunden. Er ließ in London sagen: „Ich schätze mich glücklich, die Traditionen des besten Einvernehmens zwischen den beiden Reichen wieder aufleben zu sehen. Es wird meine besondere Sorge sein, sie zu pflegen.“ Demgemäß wollte er auch bei der Mitteilung des deutsch-österreichischen Bündnisses in London die dortige „Zustimmung und Unterstützung“ erbitten192). Seine Instruktion für den Grafen Kálnoky zum Gespräch mit Bismarck im Februar 1880 erwähnte die lockere Einbeziehung Englands in den Zweibund. Bei Bismarcks prinzi­pieller Zustimmung hätte sich Haymerle auch bloß mit einem österreichisch­englischen Vertrage begnügt19S); hiebei wäre England vor allem die Auf­gabe zugefallen, Italien im Kriegsfälle von Österreich abzuhalten194). Haymerle verhielt sich gegen Italien trotz der irredentistischen Aus­fälle sehr vorsichtig und zurückhaltend, um durch eigene Gegenmaßregeln nicht neuen Nährstoff der feindseligen Stimmung zuzuführen. „ Wir möch­ten überhaupt“ — sagte er — „solange als möglich einen Gegensatz mit Italien auch deshalb nicht auf die Tagesordnung kommen lassen, um unsere politischen Mittel nicht zu zersplittern und unser Augenmerk von dem Hauptziel, von der nachhaltigen Eindämmung Rußlands, nicht ablenken zu lassen“ 19ä). Der englische Plan fand bei Bismarck aus begreiflichen Gründen keine günstige Aufnahme umd Haymerle willigte am 28. Februar ein, mit den „Konfidenzen an England“ einzuhalten, vorausgesetzt, daß Bismarck die gleiche Haltung gegenüber Rußland beobachte196). Als jedoch die darauf­folgenden englischen Wahlen vorläufig für Österreich die Aussicht auf den englischen Rückhalt zunichte machten, gab Haymerle schrittweise dem deutschen Drängen zum Einverständnis mit Rußland nach, weil man sich im Orient gegen die unberechenbare Politik zweier Großmächte, Englands und Rußlands, schwer behaupten konnte. Natürlich aber ließ es sich jetzt nicht mehr vermeiden, daß bei den neuen Verhandlungen der Status quo des Berliner Friedens verlassen wurde. Das mußte indes wohl oder übel in Kauf genommen werden, wofern dadurch nur die Eintracht bezüglich des Balkans irgendwie gewahrt blieb. Und das gelang. Allein die Kehrseite

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