Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

168 Ferdinand Hauptmann gleichen Sinne auf die serbische Regierung einzuwirken. Wirklich erfüllte es auch sein Versprechen, aber in einer Form, die nach den Worten Wredes darauf abzielte, „auf unsere Kosten Popularität in Belgrad zu haschen“, da es, anstatt sein Veto einzulegen, in angeblich freundschaftlicher Besorgnis auf das österreichische hinwies 147). Die eigentliche Tätigkeit Italiens begann aber erst ein Jahr später mit dem Erscheinen des neuen italienischen Vertreters, des Grafen Tomielli, in Belgrad. Der Ruf, der ihm vorausging, war schon bezeichnend: sein Belgrader Vorgänger ließ sich vernehmen, Tornielli sei ihm als Nachfolger nur deshalb angenehm, weil dieser dem österreichisch-ungarischen Vertre­ter noch größere Schwierigkeiten bereiten werde, als er es je zu tun ver­mocht hatte148). Sofort deutete man sich seine Sendung dahin, „daß... (Tomielli) in den Conversationen ... mit den hiesigen Regierungsmännern ... die Eventualität der Räumung Bosniens und der Hercegovina durch die österreichischen Truppen in Betracht ziehen werde“ 149). Denn es war nahe­liegend, daß in einer Zeit, da in Italien die Irredentisten über den Berliner Erfolg Österreichs tobten und lärmten, ein amtlicher Vertreter leicht auf den Gedanken verfallen könnte, diese Mißstimmung auch in der Politik aus­zudrücken, umso eher, als ohnehin die italienische Regierung von der Mit­wisserschaft an jenen Umtrieben nicht ganz freizusprechen war150). Tor­nielli war nun ein solcher Mann, „dem das Programm der Italia irredenta wie die Erbsünde anhaftet“ 151); deshalb dauerte es nicht lange, bis er von sich reden machte. Die Mächte hatten in Berlin die Unabhängigkeit Serbiens und Rumä­niens ausgesprochen, machten sie aber von der Erfüllung gewisser Klau­seln abhängig, unter denen die der Religionsfreiheit an erste Stelle trat152). Die Gründe, die sie dazu bewogen, waren hauptsächlich handelspolitischer Natur. Die Völker des Südostens mußten den Sprung in die hohe Politik unvermittelt von ihrer primitiven wirtschaftlichen und sozialen Stufe aus machen. Das Fehlen des Mittelstandes wurde zum großen Teil wettgemacht durch die Zuwanderung von Fremden, besonders Juden. Die liberalen Groß­mächte betrachteten die Zuwanderer als natürliche Schrittmacher der westlichen Kultur. Deshalb legten nach 1878 England, Frankreich und Deutschland besonderen Nachdruck auf die Aufhebung der Judengesetze in Rumänien153). Italien dagegen, das in Berlin zu den eifrigsten Ver­fechtern dieser Klausel gezählt hatte, wirkte in der Folge im entgegen­gesetzten Sinne, indem es die Selbständigkeitsbestrebungen auch auf die­sem Felde unterstützte und die Anerkennung der rumänischen Selbständig­keit aussprach, ohne die Ausführung der Judenklausel abgewartet zu haben 154). Wenn Tornielli schon bezüglich Rumäniens den Standpunkt ver­trat, daß man auf keine strikte Durchführung der Judenemanzipation drän­gen solle, weil diese Frage bei dem bekannten Judenhaß der Rumänen leicht eine ernste Mißstimmung erzeugen könnte, so legte er der Ausfüh­rung dieser Klausel in Serbien noch viel weniger Wichtigkeit bei, weil in

Next

/
Thumbnails
Contents