Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 163 Vorwurf der Undankbarkeit, den man Deutschland machte, durchaus nicht am Platze110). Suvalov vertrat in den Konferenzen unter kaiserlichen Vorsitz auch weiterhin die Ansicht, von russischer Seite müsse alles darangesetzt werden, um das Drei-Kaiser-Bündnis aufrecht zu erhalten. Ohne dieses, so empfahl er seine Politik, hätte Rußland den türkischen Krftg überhaupt in solcher Ruhe nicht führen können. „Daher dürfe man sich weder von Österreich noch von Deutschland trennen, denn im Fall eines Bruches mit jenem sei es mehr als zweifelhaft, ob Deutschland ... für Rußland optieren werde“111). Obwohl Suvalov in Petersburg den Eindruck gewann, der Zar habe sich von seinen Argumenten überzeugen lassen, blieb der Erfolg wegen des Fehlens eines wahren Außenministers in Rußland doch sehr zweifelhaft. Gorcakov, der nominelle Leiter, war alt und gebrechlich, und hatte schon vor dem russisch-türkischen Kriege nur zeitweise die Geschäfte geführt, während er die übrige Zeit zur Heilung im Auslande verbrachte. Nach dem Berliner Kongreß stand er noch mehr abseits, so daß, da er sich trotz seines Alters nicht zurückziehen wollte, der Zar keinen Außenminister hatte. Es wäre aber umso notwendiger gewesen, eine starke Persönlichkeit an der Spitze zu sehen, da jetzt Einflüsse verschiedenster Art unvermittelt an den Kaiser gelangten. Der Einfluß seiner Umgebung hatte sich schon zur Zeit der orientalischen Wirren folgenreich ausgewirkt, als es den panslavistischen Kreisen gelungen war, vor den Serben den Unterschied zwischen der offiziellen und inoffiziellen russischen Politik so zu vertuschen, daß Serbien in dem Glauben an die Hilfe der slavischen Großmacht den Krieg gegen die Türkei begonnen hatte. War damals vielfach der Einfluß der Hofdamen ausschlaggebend gewesen, so drohte nach 1878 die gleiche Gefahr von der Person des Kriegsministers General Miljutin, jenes Mannes, von dem man behauptete, er hätte schon zur Zeit der orientalischen Wirren lieber gegen Österreich als gegen die Türkei gekämpft. Bismarck faßte damals die Stellung des Zaren in die Worte zusammen, daß der Zar sich anscheinend in den Händen seiner Ratgeber befinde, „ohne im eigenen politischen Urteile ein Gegengewicht gegen diese verderblichen Einflüsse zu finden“ 112). So bemühte sich der Kriegsminister, das russische Heer um eine halbe Million zu verstärken, -— mach einem siegreichen Krieg und einem Friedenskongresse, der wenigstens für eine gewisse Zeit die Komplikationen aus der Welt zu schaffen suchte — und gleichzeitig suchte die russische Politik nach Verbündeten. In Betracht kamen die zwei romanischen Mächte, Frankreich 113) und Italien. Konnte Rußland durch Frankreich Deutschland bedrohen, so durch Italien Österreich. Sondierungen in den beiden Hauptstädten waren im Laufe des Jahres 1879 tatsächlich geschehen114). Die Annäherung dieser Mächte trat auch in den Kommissionen zur definitiven Regelung der orientalischen 11*