Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

162 Ferdinand Hauptmann seinen eigenen Wert in den Augen Österreichs in die Höhe zu treiben. Dazu bot sich ihm ein höchst wirksames Mittel: die Formel des Natio­nalismus. Das Postulat, daß sich Volk und Staat decken müßten, hatte in Italien seine idealste Ausprägung erhalten und zugleich der Welt die Unwider­stehlichkeit der neuen Idee vor Augen geführt. Notgedrungen mußten sich schon dadurch die Blicke aller aufstrebenden, nach einem nationalen Staat ringenden Völker auf dieses klassische Vorbild richten. So wandte sich zur Zeit des ersten serbisch-türkischen Krieges Serbien an Italien mit der Bitte um Vermittlung 106). Die italienische Stimme galt damals im Konzert der Mächte zu wenig, als daß man daraus dieses Ansuchen erklären könnte. Es sprach hier lediglich die Sympathie des serbischen Piemonts für das italienische. Bei dem Schwächezustand Italiens konnten solche Ansuchen zwar nur platonisch gemeint sein; jedoch die Möglichkeit war immerhin gegeben, daß eines Tages das erstarkte Italien dieses moralische Guthaben auch politisch verwerten würde. Auswirken konnte sich das in einem solchen Falle nur in der Unterstützung der Selbständigkeitsbestrebungen der Balkanvölker. Eigene Interessen hatte damals Italien in diesen Gebieten noch kaum zu vertreten, und so konnte es leichten Herzens auf handels­politischem, wie auch auf politischem Gebiete den uneigennützigen Freund spielen. In dieser Nebenbuhlerschaft gegen Österreich traf es mit einer anderen Macht zusammen — mit Rußland. Die Ergebnisse des Berliner Kongresses verursachten hier eine große Enttäuschung. Wer sich schon im Glanze von San Stefano gesonnt hatte, der mußte die Berliner Revision schmerzlich empfinden. Allein es gab in Rußland noch eine zweite Auffassung. Schon Andrássy hatte darauf hin­gewiesen, daß „ ... Fürst Gortschakoff .. . die ganze Orientfrage mit einem ähnlichen Coup wie die Pontusaffaire erledigen“ wollte107), im Wider­spruch mit den österreichisch-russischen Abmachungen von 1876 und 1877, ferner mit seiner eigenen Erklärung vom 29. Jänner 1878 „ ... que les conditions de paix acceptées par la Turquie, qui sont d’un intérét européen, ne sont pás definitives avant d’avoir requ sanction de l’Europe“ 108). Suvalov dachte ähnlich und war demgemäß nicht geneigt, im Berliner Kongreß eine europäische Verschwörung gegen Rußland unter Führung des Fürsten Bismarck zu erblicken. Seiner Überzeugung zufolge, die er vor seinem Kaiser auch vertrat, war Österreich nicht der alleinige Gewinner; auch Rußland habe von Berlin den Vorteil nach Hause gebracht, daß ihm die gemachten Erwerbungen ganz Europa bestätigt habe. Auch die Stich­hältigkeit der angeblich dort zutage getretenen deutschen Gegnerschaft wurde widerlegt. Keineswegs stimme es, daß die Bemühungen der deutschen Politik dahin gingen, den ganzen Gewinn Österreich zuzuschanzen: im Gegenteil, Rußland wäre dem deutschen Kanzler zum größten Dank ver­pflichtet, denn lediglich seinem Einflüsse sei die österreichische und englische Nachgiebigkeit zuzuschreiben109). Deshalb war der russische

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