Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 161 Intentionen Bismarcks, der noch im Schlußsatz der Kongreßakte die Großmächte aufgefordert hatte, das in Berlin erzielte Einvernehmen unverbrüchlich zu pflegen 102). Kaum verklang dieser Appell, als sich auch schon aus den verschiedenen Staaten Stimmen hören ließen, die dieser Aufforderung wenig entsprachen. In Österreich brach im deutschen Lager der Sturm gegen die Berliner Beschlüsse aus, aber nicht, weil Andrässy etwa zu wenig Erfolg heimgebracht hatte, sondern zuviel — die Okkupation103). Doch diese Stimme war nicht gefährlich. Ernster war die Erregung in Italien. Schon die Zuspitzung der orientalischen Krise hatte die Irredentisten erregt. Das ganze Jahr 1877 und das folgende verhandelten deren Führer über einen Einfall in die benachbarten österreichischen Provinzen. Mitten in diese Beratungen fiel der Berliner Kongreß, der Italien nicht nur durch die befürchtete Ausbreitung Österreichs auf dem Balkan schreckte, sondern auch die allerdings bescheidenen Hoffnungen der italienischen Regierung auf Entschädigung enttäuschte. Und da sich der italienische Ministerpräsident Cairoli erfolglos bemühte, in Berlin wenigstens die zeitliche Begrenzung der österreichischen Besetzung ebenso scharf zu umgrenzen, wie man das bei der russischen in Bulgarien gemacht hatte104), so ergriff die Öffentlichkeit eine Aufregung und Entrüstung, die sich in der Presse wie auch in Ausschreitungen Luft machte. Obwohl Österreich daraufhin militärische Vorkehrungen traf, beruhigte sich Italien nicht. Umtriebe dieser Art blieben das ganze folgende Jahr auf der Tagesordnung. Und dabei konnte man von der Regierung nicht behaupten, daß sie diesen Umtrieben fernstand. Die Blicke der Irredentisten wandten sich, wenigstens damals noch, vor allem dem Trentino zu, aber in der politischen Sprache wurde dieses Streben in die allgemeine Formel der Kompensationen gekleidet. Jeder weiteren österreichischen Ausdehnung auf dem Balkan, beziehungsweise an der Adria, glaubte sich Italien aus Sicherheitsgründen entgegenstellen zu müssen und seine Zustimmung nur in dem Falle dazu geben zu dürfen, wenn es selbst angemessen entschädigt würde. Von diesem Standpunkte aus schlug Bismarck dem italienischen Kammerpräsidenten Crispi, der ihn wegen eines deutsch-italienischen Bündnisses im Jahre 1877 auf suchte, vor, im Falle einer österreichischen Okkupation Bosniens sollte sich Italien durch den Erwerb von Albanien oder irgendeines anderen Gebietes an der Adria schadlos halten. Jedoch Crispi dachte damals nur daran, durch das Anmelden italienischer Ansprüche auf dem Balkan einen Druck auf Österreich auszuüben, um von diesem das Trentiino zu erlangen105). An diesem Standpunkt hielt Italien solange fest, als seiner Politik der Nationalismus und nicht der Imperialismus zugrundelag. Wenn der Balkan als Pressionsmittel gegen Österreich von der italienischen Politik verwendet werden sollte, so mußte Italien sich dort eine Position schaffen, die ihm ermöglichen würde, Österreich Schwierigkeiten zu bereiten und dadurch Mitteilungen, Band 5 ii