Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

160 Ferdinand Hauptmann Fast möchte man behaupten, das Entgegenkommen wäre erfolgreich gewesen, denn die Eisenbahnvertragsverhandlungen fingen an: Serbien schickte seinen Verkehrsminister nach Wien, wo im Juli 1879 übereinstim­mende Beschlüsse gefaßt wurden. Aber dann kam, wie früher gesagt, die Angelegenheit zum Stillstand. Von serbischer Seite war längere Zeit nichts mehr zu hören, bis in den Oktobertagen Ristic eine Antwort gab, die alle bisherigen Resultate in Frage stellte. Keine Rede war mehr von den gegen­seitigen Vereinbarungen, die in Wien zustandegekommen warein; Ristic degradierte sie auf bloße österreichische Vorschläge, so daß Haymerle die eingetretene Lage in die Worte zusammenfaßte: „Es handelt sich ihm (Ristic) nicht darum, die schwebenden Verhandlungen zu beendigen; er befaßt sich lediglich mit der späteren Möglichkeit neuer Besprechungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien“ 98). Das Interessante an dieser Schwenkung war, daß Ristié in der ersten Zeit nach der Rückkehr des Verkehrsministers aus Wiein bereit war, die Ergebnisse anzunehmen. Erst allmählich besann er sich eines besseren, und erklärte, erst die Zustimmung des Fürsten einholen zu müssen"). Der Minister, dem in einem anderen Zusammenhang Wrede die Eigen­schaft der Vorsicht zusprach, hatte offenbar seine besonderen Gründe, der Monarchie so offen zu trotzen. Das außenpolitische System Ristic’ bestand in einem beständigen La­vieren zwischen den Großmächten Österreich und Rußland; aber auch Deutschland, England und Frankreich wurden oft in die Berechnungen einbezogen. Die außenpolitische Konstellation war bis zu den orientalischen Wirren so beschaffen, daß sie diese Taktik ermöglichte. Während der serbisch-türkischen Kriege hielt Ristic die russische Rückendeckung zwar für die wertvollere, schwenkte aber wegen der Erfahrungen in San Stefano noch rechtzeitig zu Österreich um. Die Folge war die österreichische Vor­herrschaft auf dem westlichen Balkan. Es blieb damals Serbien nichts anderes übrig, als sich dieser Notwendigkeit zu fügen, so schmerzlich das auch wegen der enttäuschten Hoffnungen auf Bosnien und die Hercegovina sein mochte. „Was auch immer seine geheimen Gedanken sein mögen, ist Herr Ristic denn doch viel zu vorsichtig, um über sein Land die Gefahren heraufzubeschwören, welche eine Unterstützung der bosnischen Insurgenten unfehlbar im Gefolge hätte“ 10°). Es galt aber „deshalb nicht minder fest­stehend, daß alle Maßregeln, welche die k. und k. Behörden in Bosnien treffen, und die Rückwirkung derselben auf die Stimmung der dortigen Bevölkerung von hier (Belgrad) aus mit größter Aufmerksamkeit verfolgt werden und daß man auf letztere soweit einzuwirken bemüht ist, als dies ohne offene Compromitti rung geschehen kann“ 101). Von der Sorge um die Selbständigkeit seines Landes ausgehend, die seiner Überzeugung nach nur durch die Politik des Lavierens gesichert war, spähte deshalb Ristic eifrig nach auswärtigen Kräften, die ihm für alle Fälle eine Rückendeckung gegen Österreich bieten könnten. Damit stellte er sich in den Gegensatz zu den

Next

/
Thumbnails
Contents