Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 157 als er es in Wirklichkeit war. Die „narodna vojska“, die Volksmiliz, welche man in Ermangelung eines stehenden Heeres auf gestellt hatte, sollte genügen, um berauschende Siege davonzutragen. Dabei fehlte es nicht an aneifernden Stimmen von auswärts, mit denen Rußland auch nicht sparte. So hatte im Jahre 1876 das inoffizielle, panslavistische Rußland genügt, um Serbien in den Krieg zu treiben, obwohl das offizielle entschieden abriet74). Nun hatte aber Serbien nach den Erfahrungen von San Stefano vorderhand von Rußland genug75); wird nun Österreich an dessen Stelle treten? Bezüglich der Fürstenreise nach Nis begnügte sich Andrássy nicht mit der Erklärung, die ihm Ristic darüber zugehen ließ. Er fing vielmehr das Gerücht auf, wonach Milans Aufenthalt mit seinen Bemühungen um den bulgarischen Fürstenthron im Zusammenhang stünde70). Wrede bemühte sich, seinem Chef diese Idee auszuredein. Es wären bisher nicht nur keine Anzeichen bemerkbar gewesen, die für eine solche Annahme sprechen würden, sondern es scheine dies der ganzen politischen Lage nach als höchst unwahrscheinlich. Der Augenblick, in dem sich der Gegensatz zwischen den Serben und den Bulgaren immer mehr zuspitze und zu blutigen Grenzstreitigkeiten führte, sei seiner Meinung nach nicht vorteilhaft für den Plan einer serbisch-bulgarischen Personalunion77). Wrede suchte sogar als Grund der Reise familiäre Verhältnisse glaubhaft zu machen78). In der gleichen Zeit, zu Anfang des Jahres 1879, entstanden noch andere Gerüchte über die serbischen Pläne. Schon die Erwägungen über die Annahme des Königstitels zeigen deutlich, wie geringen Wert man den Berliner Beschlüssen in Serbien beilegte. Dazu kam Ende Jänner die unverhoffte Nachricht, daß General Öemajev ins Land gekommen sei79). Die Ankunft des Führers der serbischen Armee gegen die Türkei in den Jahren 1876/77 mußte nur das Gerücht verstärken, das sich ohnedies hartnäckig erhielt, wonach ein allgemeiner Aufstand auf dem Balkan für das Frühjahr bevorstehe 80). Auch einer der Führer der bosnisch-hercegovinischen Aufständischen, Ljubibratic, tauchte in Belgrad auf — nach amtlicher Version um hier stillgesetzt zu werden, während er selbst angeblich als Grund seines Aufenthaltes die Vorbereitung zum Widerstande gegen die eventuelle österreichische Okkupation des Sandaks von Növi Pazar angab81). Trotz der beruhigenden Erklärungen, die Ristic und Oberst Catargi im Namen des Fürsten dem österreichischen Vertreter gaben, Öemajev wäre angeblich nur wegen des serbischen Eisenbahnbaues gekommen und erst auf wiederholtes Ansuchen vom Fürsten empfangen worden 82), war man in Wien bedenklich, zumal da der Austausch von Auszeichnungen zwischen Serbien und Montenegro auch auf eine wachsende Intimität zwischen diesen beiden Ländern hinwies 83). Den schwerfälligen österreichischen Staatsapparat konnten jedoch alle diese Nachrichten trotzdem nicht in Bewegung setzen. Es wurden nicht