Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 131 zwischen Österreich-Ungarn und Rußland ein, die durch Nichtteilnahme Serbiens und Montenegros am russisch-türkischen Kriege erzielt werden konnte. Denn „die Kooperation (Rußlands) mit Serbien und Montenegro macht aus der europäischen Tat (des russischen Krieges gegen die Türkei), aus der christlich-humanen Tendenz eine einseitig orthodoxe und aus dem Kriege eine Revolution“ 6). Die Rückwirkungen einer solchen großslavischen Politik Rußlands auf die österreichischen Zustände würden nicht aus- bleiben. „Abgesehen von der Vergrößerung der benachbarten slavischen Provinzen, welche als revolutionärer Erfolg die propagandistischen Ele­mente unserer slavischen Bevölkerung ermuntern würde, könnte schon die bloße Tatsache, daß Rußland die speziell slavischen Aspirationen dieser Nachbarländer zu seiner eigenen Sache macht, auf unsere slavischen Untertanen nicht ohne Wirkung bleiben. Sie würden sich sagen, daß, wenn Rußland heute die slavischen Bewohner der Türkei im Kampfe gegen ihre Regierung unterstütze, dasselbe morgen ebensogut den slavischen Unter­tanen Österreich-Ungarns in der Auflehnung gegen die österreich-unga­rische Regierung zu Hilfe eilen würde“ 7). Im eigenen Interesse wollte also Österreich die Türkei solange wie möglich halten, und nur bei ihrem Zusammenbruch vor den Russen in den Zwischenraum einrücken. Deshalb die Freihaltung des Vardartales vom bulgarisch-russischen Zugriff, deshalb auch das Ausfalltor im Sandak von Növi Pazar. Aber innerhalb dieser Reserve gab es nach Andrássys Auffassung noch genügend Möglichkeiten, der Zeitströmung Recht widerfahren zu lassen. Es war nicht an ein absolutes und starres Einsetzen für die Türkei gedacht, sondern an eine langsame Verbesserung des Loses der christlichen Bevöl­kerung durch Anempfehlung von Reformen an die türkische Macht. Daß das Ende doch Befreiung und Selbständigkeit der Christen bedeuten würde, darüber konnte kein Zweifel herrschen. Andrássy verglich einmal die Türkei mit einer alten Mauer, die zu stärken, wo sie haltbar ist, und ein­zureißen, wo sie unhaltbar, im Interesse Österreichs läge. Es käme gar nicht in Frage „die Zärtlichkeit für die alte Mauer soweit zu treiben, sie solange stehen zu lassen, bis sie uns auf den Kopf gefallen wäre“. Dieses nur bedingte Einstehen für die Türkei empfahl sich schon deshalb, weil — wie Andrássy 1878 darlegte — die Türkei mit ihrer großen Zahl von Unzufriedenen stets Gefahr lief, von einer Großmacht, die sich der Christen annehmen würde, vernichtet zu werden. Er nannte in diesem Zusammen­hang das zwischen einigen Balkanländern und der Türkei bestehende Vasallen Verhältnis als nicht nur der Türkei selbst, sondern auch Österreichs geradezu unwürdig8). „Die natürliche freie Entwicklung der christlichen Völker im Orient kann weder unsern, noch den europäischen Interessen zuwiderlaufen ... Ich kenne kein österreichisch-ungarisches Interesse, wel­ches uns veranlassen könnte, irgend einer Veränderung entgegenzutreten, welche die Verbesserung des Loses der christlichen Völker im Oriente zum 9

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