Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 4. (1951)
SANTIFALLER, Leo: Die älteste Originalurkunde des Österreichischen Staatsarchivs
32 Leo Santifaller gische Renaissance — „wirkten nun endlich auch auf das Urkundenwesen ein, und was vielleicht schon seit Jahrzehnten der geläuterte Geschmack einer gebildeten Generation gefordert hatte, geschah, als nach dem Tode Karls d. Gr. neue und bereits in den Schulen herangebildete Männer in die Kanzlei eintraten. Es ist unverkennbar, daß es eine der ersten Aufgaben der Kanzlei Ludwigs d. Fr. gewesen ist, sämtliche Formeln in diesem Sinne, d. h. stilistisch, umzuarbeiten. Mehrere Umstände weisen darauf hin, daß gleich nach dem Regierungsantritt Ludwigs eine allgemeine Umarbeitung sämtlicher Urkundenformeln stattgefunden hat. Vom Jahre 814 berichtet Thegan, der Biograph Ludwigs: eodem anno iussit supradictus princeps renovare omnia praecepta, quae sub tempore patrum suorum gesta erant ecclesiis Dei, et ipse manu propria ea cum subscriptione roboravit1). Dem entspricht, daß unter den auf uns gekommenen Diplomen eine verhältnismäßig große Anzahl in die ersten Regierungsjahre Ludwigs d. Fr. fällt.“ Solche vor allem durch grammatikalische Korrektheit und einfacheren und gewandteren Satzbau charakterisierte Formulare und Muster waren, wie schon Sickel2) und dann insbesondere Stengel3) festgestellt haben, bereits in den ersten Regierungsjahren Ludwigs d. Fr. vorhanden. Erhalten ist uns jedoch aus dieser frühen Zeit nichts, denn die aus Urkunden Ludwigs d. Fr. zusammengestellten sogenannten Formulae imperiales sind erst in späteren Jahren, wahrscheinlich 828 bis 832, in der Kanzlei angelegt worden 4). Für eine bestimmte Urkundenart, u. zw. gerade für die uns hier interessierenden Immunitätsprivilegien 5) hat nun Stengel versucht, auf indirektem Wege, d. h. aus dem Urkundenmaterial selbst, eine Vorstellung von den wirklich in der Kanzlei Ludwigs benützten Formularen zu gewinnen. Er hat daher eine annähernd vollständige Zusammenstellung der in den Immunitätsurkunden Ludwigs d. Fr. regelmäßig oder auch nur ausnahmsweise gebrauchten Worte und Wendungen unternommen und hat auf dieser Basis drei Hauptfassungen, auf denen die Immunitätsdiplome Ludwigs d. Fr. regelmäßig beruhen, rekonstruiert. Im übrigen aber konnte Stengel feststellen, daß die Diktatoren, indem sie die Formulare auswendig 1) Mon. Germ. Hist.: Scriptores, Bd. 2, Hannover 1829, S. 593. 2) Sic kel, Acta 1, S. ICO. 3) Stengel, S. 11 f„ 599 ff. 4) Bresslau, UL. 2, S. 232. 5) Vgl. Stengel, S. 11 f., 17 ff., 599 ff.