Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 2. (1949)
WIESSNER, Hermann: Über Behinderungen der Archivarbeit
Wiessner, Behinderungen der Archivarbeit 85 Jedes Archiv, ob groß oder klein, trägt als untilgbare Hypothek seiner kürzeren oder längeren Entstehungszeit die „divisio confusa“ der zu verschiedenen Zeiten herrschenden Ordnungsprinzipien. Da diese in den gedruckten und ungedruckten Katalogen, Repertorien und anderen Hilfsmitteln des Archivs ihren Niederschlag gefunden haben, zu einer völligen Neuaufstellung der Bestände aber Personal, Zeit und Geld fehlen, so sind wir im gewissen Sinne Gefangene unserer Hilfsmittel und außerstande, restlose Ordnung in die Archivalien zu bringen. Wir müssen uns vielmehr darauf beschränken, die ärgsten Mißgriffe zu beseitigen. Unsere Arbeit wird dabei immer Stückwerk bleiben, schon deshalb, weil beispielsweise die sinnlose Zerreißung mancher Archivkörper in zwei, drei oder mehr Teile heute kaum mehr rückgängig gemacht werden kann. Ein gegenseitiger Austausch, so notwendig und wünschenswert er auch erscheint, ist aus vielen Gründen kaum mehr möglich. Wie unendlich erschwert die Forschung durch die Aufsplitterung der einst einheitlichen Bestände ist, brauche ich nicht besonders zu betonen. Bei der Unmöglichkeit langdauernder Archivarbeiten in fremden Orten — schon aus rein finanziellen Gründen — ist heute jede Behandlung eines weiter gespannten Themas nahezu ausgeschlossen. Weitgehendes Entgegenkommen bei gegenseitigen Entlehnungen erleichtert zwar die bestehenden Schwierigkeiten, bleibt jedoch in seiner Auswirkung beschränkt und kommt für den größeren Kreis der Forschungsbeflissenen kaum in Betracht. Daher werden zur Zeit meist nur solche Themen für wissenschaftliche Arbeiten — ich denke hier besonders an Dissertationen und Hausarbeiten — gewählt werden dürfen, die in ihren Quellen mehr ortsgebunden erscheinen. Es ist dies nach meinem Dafürhalten für eine gewisse Zeitspanne wenigstens absolut kein Nachteil, denn gerade Kleinarbeiten mit intensiver Ausnutzung der Quellen bedeuten für die Landesgeschichte größeren Gewinn als oberflächliche Arbeiten an weitgespannten Problemen. Zu diesem Zwecke ist der innige Kontakt der Archive mit den Universitäten anzustreben. Ich denke hier an die Bekanntgabe dankenswerter und notwendiger Themen von seiten der Archivare an die landeseigenen oder landesnahen Universitäten zu entsprechender Auswahl. Weiß ja doch kaum ein anderer so gut Bescheid als der Archivar, wo es in der Landesgeschichte noch Lücken gibt. Ein Wort auch über die Anlage, Einrichtung und den Gebrauch der Hilfsmittel. Wir wissen aus Erfahrung, daß jedes Archiv in gewissem Grade den Stempel seiner Leitung trägt. Man kann aus den Hilfsmitteln genau ersehen, welches Spezialgebiet der Verfasser besonders bevorzugt, wird diese Bevorzugung überspitzt, so leidet die Qualität. Der Gebrauch der Kataloge und Repertorien soll keine Geheimwissenschaft darstellen. Menschliche Schwächen, wie die übersteigerte Einschätzung der eigenen Person und die Überzeugung der Unersetzlichkeit, vielleicht auch schrullenhafte Laune des Ausfertigers, machen die Hilfsmittel oft in hohem Grade unbrauchbar. Man hat unwillkürlich bei ihrer Benutzung das Gefühl, sie seien nur für eine bestimmte Person zugeschnitten, es sollte sich mit Absicht nur einer im Archiv zurechtfinden. Derartige Hilfsmittel sind unbrauchbar und bedürfen oft tagelanger Einarbeit, um sie nutzen zu können.