Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 2. (1949)

GOLDINGER, Walter: Epochen des österreichischen Archivwesens

Goldinger, Archivwesen 83 Zunächst naturgemäß auf den Schultern unserer Vorgänger. Das will sagen, daß aus all den beschriebenen Epochen etwas in uns lebendig ist, im guten und im weniger guten Sinn. Noch immer sind wir Hüter des Schatzes und haben auch vielfach die Arcana des Staates zu bewahren. Freilich kann über das Ausmaß dessen, wie weit die Grenzpflöcke gesetzt werden sollen, gestritten werden. Vieles spricht dafür, für eine Erweiterung der zur Zeit geltenden Benützergrenze einzutreten. Wenn dies aber der Fall ist, dann sollen auch Dissertanten einbezogen werden, die vielfach Kärrnerdienste zu leisten haben, für die dem vollausgebildeten Fachmann einfach die Zeit fehlt. Aber der Archivar steht nicht allein im Dienst der Wissenschaft, er muß auch unter den drängenden Aufgaben der Alltagsarbeit ein Handwerker sein, d. h. er muß stets und unbedingt die innere Bereitschaft haben, es auch zu sein. Und wenn wir uns nach einem Ahnherrn für diese Seite unseres Berufes in einer früheren Epoche Umsehen, wer begegnet uns da ? Ich glaube, es ist jener „besonders industriose, zum Sitzen und Durchblättern geneigte unverdrossene Mann“, den man 1762 im Hofkammerarchiv als Idealtypus hingestellt hat. Freilich mit dem Sitzen und Umblättern wird heute kein Archivar weiterkommen. Aber das „Industriose“, das muß er haben. Das kann man nicht lernen. Was man lernen kann, wird in der einheitlichen Ausbildung des Institutes für österreichische Geschichts­forschung vermittelt. Und wenn man heute den Typ des österreichischen Archivars fragt, was er sei, so wird er sagen: „Ich bin Archivar.“ Und wenn man weiter fragt, was er sonst noch ist, so wird er ebenso unbedenklich zur Antwort geben müssen: „Ich bin Institutler.“ Er ist nicht mehr allein der Hüter des Schatzes, nicht mehr der nur Akten priorierende Registrator, ja nicht einmal der bloße Gelehrte von der Art des ausgehenden 19. Jahr­hunderts. Allerdings dürfen wir auch nicht verhehlen, daß wir zu Epigonen ge­worden sind. Seit Jahrzehnten gibt es in der Archivwissenschaft — und das gilt auch für die historischen Hilfswissenschaften im allgemeinen —- keinen grundlegenden neuen Gedanken. Die sind im 19. Jahrhundert in die Welt gesetzt worden. Steht also die Methode mehr oder weniger fest, für ihre Anwendung ergeben sich noch ungeahnte Möglichkeiten. Überhaupt, der Archivar kann leicht in die Praxis ausweichen. In der Ferne winkt da manches erstrebenswerte Ziel, das man heute kaum als Programm auszu­sprechen wagt, das aber schon jetzt nach allen Richtungen besprochen werden sollte. Im Anschluß an dieses als Einleitung gedachte Referat wurden die Ergebnisse einer Arbeitsgemeinschaft der jüngeren Wiener Archivare vorgetragen, der folgende Damen und Herren angehörten: Benna, Blaas, Coreth, Grill, Kratochwil, Mechtler, Neck, Steuer, Wassilko, Weinzierl, Woinovich. Als Aufgabe war die Untersuchung der in den einzelnen Staaten bestehenden Archivgesetzte gestellt gewesen, um auf dieser theoretischen Grundlage für spätere Erörterungen die Frage nach der Möglichkeit eines eigenen österreichischen Archivgesetzes zur Diskussion zu stellen.

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