Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 2. (1949)
Erster österreichischer Archivtag in Wien, 21. bis 24. September 1949
Eröffnungsansprache des Generaldirektors 77 war. Die endgültigen Richtlinien für die Bildung des Staatsarchivs wurden auf Grund einer im Juli oder August 1749 von Rosenthal verfaßten Denkschrift mit dem Titel „Ohnmassgebigste Reflexiones und unterthänigste Anfragen die Errichtung des kaiserlich-königlichen Geheimen Hausarchivs betreffend“ entworfen, von der Kaiserin mit „Decretum instructivum“ vom 13. September 1749 genehmigt und in Dekreten von 1750 und 1752 wiederholt. Rosenthal hat sogleich Hand ans Werk gelegt und hat auf mehreren Archivreisen mit der Durchsicht der in den verschiedenen habsburgischen Residenzen verstreut lagernden Archivbestände und mit deren Zusammenziehung in Wien wie auch mit der Repertorisierung der in Wien aufbewahrten, bzw. dorthin überführten Archivalien begonnen. Wenn nun auch dem Werke Rosenthals erhebliche Mängel anhaften, so insbesondere ein unschlüssiges Schwanken in der Anwendung verschiedener Ordnungssysteme, und wenn auch vieles von dem, was Rosenthal plante, wenig weit gediehen oder ganz unausgeführt geblieben ist, so bleibt es doch das große Verdienst Rosenthals, die Gründung des Haus-, Hof- und Staatsarchivs durchgeführt und den lebendigen Bestand dieser Neugründung für die Zukunft gesichert zu haben. Archivwissenschaftlich und archivtechnisch aber ist bedeutsam, daß Rosenthal wohl als einer der ersten das Wesen des Provenienzprinzips erkannt und dasselbe bei der Einrichtung des Staatsarchivs auch in vielen Fällen zugrunde gelegt hat. Der zweite Gedenktag dieses Jahres aber ist der 130. Geburtstag Alfreds von Arneth1) (10. Juli 1819). Arneth war ein Mann von staunenswerter Vielseitigkeit: zunächst war er Hof- und Staatsbeamter; dann war er auch Politiker und saß bereits 1848—49 als Abgeordneter des niederöster- reichischen Kreises Neunkirchen im Parlament der Paulskirche zu Frankfurt, später wurde er Mitglied des niederösterreichischen Landesausschusses (1860—1870) und des österreichischen Herrenhauses (seit 1867). Arneth war ferner ein großer Historiker; neben einer Reihe von anderen Werken verdanken wir ihm vor allem die dreibändige Geschichte des Prinzen Eugen von Savoyen (1858) und die zehnbändige Geschichte Maria Theresias (1863—1879). Der Akademie der Wissenschaften stand er seit 1879 als Präsident vor. An dieser Stelle aber haben wir vor allem Arneths als Archivar zu gedenken. Nahezu vierzig Jahre, zuerst 1841 und dann wieder 1860—1897, gehörte er dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv an; 1860—1868 war er Vizedirektor und seither bis zu seinem Tode 1897 Direktor dieser Anstalt. Die große Bedeutung Arneths als Archivar besteht vor allem darin, daß er das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, das bis dahin nur schwer zugänglich war, der allgemeinen wissenschaftlichen Benützung erschlossen hat und damit für alle großen Archive Europas vorbildlich geworden ist; die Öffnung des Haus-, Hof- und Staatsarchivs bedeutet daher einen Aufschwung nicht nur der österreichischen, sondern der gesamten europäischen Geschichtswissenschaft. Arneth hat aber das Archiv nicht nur für außerhalb desselben stehende Gelehrte erschlossen, vielmehr nahm er den Standpunkt ein, daß x) Vgl. Bittner, Gesamtinventar 1, S. 6—11.