Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 1. (1948)

MAASS, Ferdinand: Vorbereitung und Anfänge des Josefinismus im amtlichen Schriftwechsel des Staatskanzlers Fürsten von Kaunitz-Rittberg mit seinem bevollmächtigten Minister beim Governo generale der österreichischen Lombardei, Karl Grafen von Firmian, 1763 bis 1770

290 Ferdinand Maaß einer Naturgewalt dazu, sich die notwendigen Subsistenzmittel zu verschaffen, wo immer sie zu finden "waren, also vor allem bei den privilegierten Großgrundbesitzern. Zu ihnen zählte aber nicht bloß der Adel, sondern im gleichen Ausmaße auch die Kirche als wichtigster Bestandteil der mittelalterlichen Gesellschaft, ja geradezu als die Ausdrucksform der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung, die man zwar äußerlich auch weiterhin anzuerkennen vorgab, in Wirklichkeit aber zugunsten des im Staate sich sammelnden Laientums immer mehr einzuschränken, in den Hintergrund zu drängen und seines eigentlichen Inhaltes zu entlehren fest entschlossen war. Papst Benedikt XIV. (1740 bis 1758) J) hatte die Zeichen der Zeit nicht übersehen und war durchaus gewillt, die Ansprüche des Staates anzuerkennen und stillschweigend oder ausdrücklich Stück für Stück der alten Gesellschaftsordnung preiszugeben. So konnte, wie etwa im Konkordat für die österreichische Lombardei 1757 * 2), eine Atempause für eine Neuorientierung auf den noch verbleibenden Gebieten ge­wonnen werden. Vor allem aber war so die Möglichkeit gegeben, größere Distanz zu gewinnen für die Unterscheidung zwischen Zeit­bedingtem und Wesensnotwendigem der umkämpften kirchlichen Belange, damit die Kirche, wenn auch ihre mittelalterlichen Formen fielen, als die Heilsanstalt der Völker, wie sie Christus für alle Zeiten gestiftet hat, in neuen und zeitgerechten Formen ihre eigentliche und bleibende Mission erfüllen konnte. Da also der Staat, um seinen Untertanen das irdische Glück und die zeitliche Wohlfahrt zu sichern, der Kirche die äußere Herrschaft über die Menschen entzog und sie auf den inneren Bereich zu be­schränken trachtete, war sie mehr als früher gezwungen, irdische Schlacken in ihrer zeitlichen Erscheinungsform abzustreifen und sich auf die tieferen Schichten ihres Wesens, das nicht von dieser Welt ist, zurückzuziehen. So ist die Kirche ihrer ewigen Aufgabe, wie immer, weiterhin gerecht geworden. Allein sie war zugleich auch trotz oder gerade wegen der zeitweisen Ausschaltung aus dem äußeren Weltgetriebe !) Über seine Persönlichkeit und die Tendenz seines Pontifikates siehe L. v. Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. 16. Band: Geschichte der Päpste im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus von der Wahl Benedikts XIV. bis zum Tode Pius VI. (1740 bis 1799), Freiburg i. B., Herder, 1931. 1. Teil, S. 1 bis 439, besonders das Schlußurteil S. 433 ff. 2) Kaunitz an Firmian (in den Anmerkungen abgekürzt: KF), am 17. No­vember 1768.

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