Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 1. (1948)

MAASS, Ferdinand: Vorbereitung und Anfänge des Josefinismus im amtlichen Schriftwechsel des Staatskanzlers Fürsten von Kaunitz-Rittberg mit seinem bevollmächtigten Minister beim Governo generale der österreichischen Lombardei, Karl Grafen von Firmian, 1763 bis 1770

Vorbereitung und Anfänge des Josefinismus 291 aufs neue instand gesetzt, der Menschheit wiederum zeitliche Samariter­dienste zu leisten, die von ihr—nunmehr in unscheinbarerer Form — nur zu bald verlangt wurden. Denn die Herrschaft über die Mensch­heit, vom Staate im Namen des irdischen Glückes beansprucht und allen anderen Gewalten mit List und Gewalt entrissen, war sehr bald zu einer immer unerträglicheren Tyrannei in allen möglichen Formen ausgeartet, gegen die die Untertanen des Staates bis in unsere Tage hinein nur bei der Kirche Schutz und Rückhalt oder doch wenigstens ernstlichen Widerstand finden. Die verhältnismäßig glatt und geradlinig verlaufende Ablösung der Kirche von der früheren Staats- und Gesellschaftsordnung erlitt nach dem Tode Benedikts XIV. einen empfindlichen Rücksch'ag. Nicht etwa, daß sich der neue Papst x) und sein geistig hervorragender Staatssekretär den Nöten des nach innen und außen um seinen Bestand ringenden Staates verschlossen hätten, wenn sie auch nicht jedes damit begründete Verlangen der Staatsmänner für bare Münze nehmen mußten * 2). Weitaus wichtiger, ja von grundsätzlicher Bedeutung, war den kirchlichen Vertretern die Beobachtung, daß die Exponenten des Staates ihre Forderungen, die sie an die Kirche stellten, nach der Lehre, des rationalistischen Naturrechtes mit der absoluten und unbeschränkten Souveränität des Staates begründeten, der über die natürlichen und vor allem über die materiellen Güter dieser Erde ebenso ausschließlich zu verfügen habe, wie die Kirche über die rein geistlichen Dinge. Daher sei alles, was dem Staate durch wen immer entzogen worden sei, zu Unrecht usurpiert und müsse deshalb so bald als möglich dem ursprünglichen und rechtmäßigen Eigentümer wieder zurückgegeben werden. Demzufolge sei auch für die Abgrenzung der staatlich­kirchlichen Interessensphären keine freundschaftliche Vereinbarung oder gar ein rechtsgültiges Konkordat notwendig 3); ein solches sei 3) Über Clemens XIII.: Pastor, Geschichte der Päpste XVI/I, S. 453 ff., besonders S. 455 f. Über Kardinalstaatssekretär Luigi Torrigiani 1. cit. S. 458 ff. 2) KF, 3. Februar 1766, Seite 383, Anmerkung 1. 3) Vgl. die Art und Weise, in der sich Kaunitz elf Jahre später über das 1757 vom Vorgänger Firmians abgeschlossene Konkordat äußert: „Egli é questo un oggetto umiliante per me, e ne bramerei abbolita la memoria, non ehe gli effetti di tale negoziazione, alia quale ci ha indotti il fu conte Cristiani: veramente se gli era lasciata troppa mano in una materia, in cui il di lui modo di pensare era molto pregiudicato.“ (KF, 17. November 1768.) Seite 422, Anmerkung 1 und 2.

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