Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 1. (1948)

SEIDL, Jakob: Das Österreichische Staatsarchiv

Das Österreichische Staatsarchiv 17 Die wissenschaftliche Benützung der österreichischen Zentral­archive, deren Bestände 1918 bis einschließlich 1894 der Forschung freigegeben wurden, hatte vor Beginn des zweiten Weltkrieges einen Großteil der Arbeitskraft der wissenschaftlichen Beamten in Anspruch genommen. An der Spitze stand die heutige Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, welches 1868 Leopold Ranke als das für die „deutsche Historie wichtigste Archiv“ bezeichnet hat, und dessen Benützung im Jahre 1933 den Höchststand von 34 Benützern im Tage erreicht hatte. Die Arbeitstage der Ausländer, einschließlich der drei Archiv­delegierten der Nachfolgestaaten, betrugen im gleichen Jahre 8657, eine Zahl, die auch für das Einströmen fremder Valuten nach Öster­reich nicht ohne Bedeutung war und der Ausländerfrequenz eines kleinen Kurortes gleichgestellt werden kann. Im Laufe des Krieges hat die wissenschaftliche Benützung allmählich entsprechend der Ver­lagerung der Bestände abgenommen und schließlich fast aufgehört. Nach Kriegsende begann langsam wieder eine Zunahme. Die durch­schnittliche Zahl der Benützer aller Abteilungen beträgt derzeit durch­schnittlich 25 im Tage, darunter allerdings fast noch keine Ausländer, aber vereinzelt Angehörige der Besatzungstruppen, die ihre dienstliche Anwesenheit in Wien zu historischen Studien benützen. Es besteht jedoch kein Zweifel, daß nach Rückbringung aller noch verlagerten Bestände und Beseitigung der den Reiseverkehr derzeit hemmenden Umstände die Zahl der Benützer den Stand der Vorkriegszeit nicht nur erreichen, sondern noch übertreffen wird, da bereits heute Forscher aus den östlichen Ländern, die bis Kriegsbeginn wenig ver­treten waren, vor allem aus Rußland, Interesse für die Wiener Archive bekunden. Zum Schlüsse sei es mir gestattet, kurz ein Gebiet des Archivwesens zu berühren, das zwar das Österreichische Staatsarchiv nicht unmittel­bar betrifft, das jedoch mit demselben dadurch in Beziehung steht, daß die Beamten der dem Bundeskanzleramt unterstehenden Archive mit dessen Betreuung beauftragt waren. Durch die österreichischen Bundesverfassungen vom 1. Oktober 1920 und vom 1. Mai 1934 war festgelegt worden, daß der wissen­schaftliche und fachtechnische Archivdienst Bundessache sei. Auf Grund dieser Verfassungsbestimmung wurde die fachliche Leitung aller österreichischen öffentlichen Archive durch ein vom Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs geleitetes Fachreferat des Bundes­kanzleramtes, dem ein aus Archivaren gebildeter Archivbeirat zur Seite stand, geführt und der Archivalienschutz auf Grund des Denk­2

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