Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 1. (1948)

SEIDL, Jakob: Das Österreichische Staatsarchiv

1 6 Jakob Seidl Forderungen gestellt werden würden1). Waren es 1919 die italienischen Archivare, die durch Anerkennung des Herkunftsgrundsatzes die Wiener Zentralarchive vor der Zerreißung bewahrten, so waren es diesmal die tschechoslowakischen Archivare, deren streng wissenschaftlichen Grundsätzen es zu danken ist, daß in dem zu Prag am 20. September 1946 abgeschlossenen Übereinkommen von Österreich lediglich die Rück­stellung der nach 1939 von Prag nach Wien gebrachten Bestände und die Auslieferung jener modernen Akten und sonstigen Verwaltungs­behelfe, welche nach dem Münchner Abkommen auf heute öster­reichischem Gebiete entstanden sind und die wieder an die Tschecho­slowakische Republik zurückgegebenen südböhmischen und süd­mährischen Gebiete betreffen, gefordert wurde. Im gleichen Sinne werden gegenwärtig Verhandlungen mit Jugoslawien geführt, das bereits die aus Belgrad nach Wien gebrachten Bestände übernommen hat. Auch die in der Abteilung Kriegsarchiv tätig gewesene inter­alliierte Militärmission hat sich im wesentlichen nur mit den seit 1918 erwachsenen und den aus den besetzten Gebieten nach Wien ge­brachten Beständen und der Ausscheidung nazistischer und alliierten­feindlicher Literatur aus der Bibliothek beschäftigt. Außer der Neuordnung der aus den Bergungsorten wieder heim­gelangten Archivalien, über die bereits gesprochen wurde, wird es eine der nächsten Aufgaben des Österreichischen Staatsarchivs sein, aus den 1940 übernommenen Beständen, die sich hauptsächlich im Allgemeinen Verwaltungsarchiv befinden, alle jene auszuscheiden, deren Erhaltung weder im Interesse der Wissenschaft noch in dem der Verwaltung gelegen ist. Diese Arbeit kann nur im Einvernehmen mit den zuständigen Ressortministerien gelöst werden und wird nach ihrer Vollendung der Raumnot, an der alle Abteilungen leiden, abhelfen. 1) Über den Kampf, den die österreichischen Archivare in den Jahren nach 1918 um die Erhaltung der k. u. k. und der k. k. Zentralarchive führten, schreibt der Sopraintendente der italienischen Archive E. Casanova auf S. 394 seiner 1928 erschienenen „Archivistica“: ,,Fu allora che si manifestó tutto l’amore, che gli archivisti austriaei portavano alle scritture, affidate alle loro cure. Essi le difesero in tutti i modi, unguibus et rostris; e noi, come uno dei compilatori delle domande italiane, come imo dei negoziatori, c’inchiniamo, commossi, al loro patriotismo non solo, ma ali’ alto sentimento professionale e scientifico, ehe li guidö in quella occasione.“ Zu vergleichen: L. Bittner, ,,Die zwischenstaatlichen Verhandlungen über das Schicksal der österreichischen Archive nach dem Zu­sammenbruch Österreich-Ungarns“ in Archiv für Politik und Geschichte, III., 1925, S. 58 ff., und die Ausführungen desselben im Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, I., S. 38* ff. und S. 52*.

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