Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 1. (1948)

SEIDL, Jakob: Das Österreichische Staatsarchiv

Das Österreichische Staatsarchiv 11 es gestatteten, durch Augenschein eine Übersicht über die erlittenen Schäden zu gewinnen. Unmittelbar durch Kampfhandlungen wurde eine einzige Bergungs­stelle betroffen, in der die Akten des österreichischen Staatsrates, jenes von Maria Theresia geschaffenen Ratskollegiums, in dem alle Österreich und Ungarn betreffenden wichtigen Angelegenheiten wäh­rend des Zeitraums von 1760 bis 1848 beraten wurden, bis zum Jahre 1833 durch Artillerieeinwirkung in Brand geschossen und restlos vernichtet worden sind, ein Verlust, der umso bedauerlicher ist, als die entsprechenden Akten der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei durch den Brand des Justizpalastes zum Großteil vernichtet sind. Die Fortsetzung der Geschichte der „Österreichischen Zentralverwaltung“J) wird der exakten Quellenunterlage entbehren müssen; auch einem künftigen Geschichtsschreiber Josefs II. sind die wertvollsten Quellen versiegt. In den übrigen Bergungsstellen wurde zwar durch einquartierte Truppen Unordnung angerichtet, größere Verluste aber sind nach bisherigen Feststellungen nur an vier Stellen zu beklagen* 2). 250 Möbelwagen mit Archivalien von auswärts und 50 aus den Wiener Bergungsstellen zurückzubringen war im Frühsommer 1945 ein unlösbares Problem. Da kam dem Archiv und den Museen, die sich ja in der gleichen Lage befanden, dank der Initiative der Kunst­abteilung des Bundesministeriums für Unterricht und der des Staats­denkmalamtes die Rote Armee zu Hilfe, die vom 21. August bis 23. Oktober 1945 fast täglich eine größere Anzahl von Lastkraftwagen zur Rückbringung der verlagerten Kulturgüter zur Verfügung stellte, mit deren Hilfe an 25 Tagen in 65 Lastkraftwagen rund 130 Tonnen Archivalien nach Wien zurückgebracht wurden. Mit Hilfe ameri­kanischer Truppen wurde ein Teil der im Salzkammergut geborgenen Bestände heimgebracht. Schließlich gelang es auch den Lastkraftwagen­park der Gemeinde Wien und private Transportunternehmungen einzusetzen, wobei eine größere Spende an Treibstoff durch die englischen Truppen zustatten kam. Dankbar muß an dieser Stelle der unermüdlichen Arbeit und der selbstlosen Mühe der niederen Beamten und Angestellten und der vom Kulturamt der Stadt Wien *) Von diesem nur von Archivbeamten verfaßten Werke sind in den Jahren 1907—1938 sechs Bände erschienen, die bis zum Jahre 1780 reichen. 2) Eine genaue Übersicht über die eingetretenen Verluste kann erst nach Rückführung aller Bestände und deren Ordnung gewonnen und dann veröffent­licht werden.

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