Fekete Ludwig: Türkische schriften aus dem Archive des Palatins Nikolaus Esterházy (Budapest, 1932)

Einleitung

Eins ist jedoch sicher: das Reich selbst, seine Beamten und Massen, die Behörden wie das Volk, fühlten nichts von diesem Verfall. Die Regierung hielt nach wie vor an einer imperialen Politik fest und leitete die Geschäfte unverändert im alten Geiste. Wenn irgend eine wichtige Festung (z. B. Bagdad) gefallen war, schickte sie zu ihrer Wiedergewinnung auch zwei- und dreimal die grossen Heere aus, in deren einem wir auch den Sultan, den letzten türkischen Herrscher, sehen, der am Feldzuge tatsächlich teilnimmt und seine Truppen bis vor den Feind führt. Die Lebenskraft des Reiches beweist übrigens auch der Umstand, dass die Köprülüs in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts innerhalb kurzer Zeit eine Reorganisation des Reiches durchzuführen vermochten und ihre Macht selbst dem Kaiser in seiner relativ kraftvollsten Epoche (um 1660) fühlen Hessen. Die Aussenpolitik des Reiches entsprach jedoch nicht den Verhältnissen. Gut durchdachte und planmässig durchgefürte Aktio­nen, wie sie im XV. und XVI. Jahrhundert unter der Führung hoch­begabter Sultane auch bei entlegenen Völkern Anerkennung oder Furcht auslösten, lässt die Regierung der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts ganz vermissen. Selbst den Fünfzehnjährigen ungarischen Krieg kann das Reich, von schweren innen- und aussenpolitischen Verhältnissen bedrückt und gehemmt, nur mit der unerwarteten und energischen Hilfe einer ehemaligen Vasallenprovinz, nämlich Sieben­bürgens, unter verhältnismässig günstigen Bedingungen beenden. 1 Und doch zieht die Regierung daraus keine Lehre; sie lässt keine Zeit zur Organisation und Zusammenfassung ihrer Kräfte, verwickelt sich in neuerliche Kriegsunternehmungen, hier gegen die Perser, dort gegen die Polen, und kann, da sie die einzelnen Kriegszüge nicht gründlich vorbe­reitet, nur mit erhöhten Opfern zu befriedigenden Resultaten gelangen. Eine einschneidende Reform ihres Systems führt die Pforte bloss in der westlichen Politik, namentlich in Ungarn, durch, nachdem sie erkannt hat, dass aus „dem König von Wien' 1 ein ebenbürtiger Kaiser geworden ist. 2 Schon die zur Verhandlung der schwebenden Punkte des Friedensvertrages von Zsitvatorok entsandten türkischen Delegierten, Ahmed Kethüda und Graciani, wollten im Jahre 1615, 1 Hafiz Pascha sagt, dass „sie vor Bocskais Auftreten nicht einen Schritt vorrücken könnten". (Pecevl, II, 405.) 2 Friede von Zsitvatorok, Punkt 2 (s. S. 208).

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