Fekete Ludwig: Türkische schriften aus dem Archive des Palatins Nikolaus Esterházy (Budapest, 1932)

Einleitung

Grenzfestungen — anvertraut. Dass diese aber auch nur einigerraassen ihrer Aufgabe gerecht zu werden vermochten, kann nicht allein ihrer Selbständigkeit und ihrem ausserordentlichen Wirkungskreise, sondern zum grossen Teil auch den Zuständen im Türkischen Reiche zuge­schrieben werden. Das Türkische Imperium hatte nämlich seit Sülejmans Tode, also in kaum 40 Jahren, eine ebenfalls grosse Wandlung durchgemacht. Von den vielen schwerwiegenden Gründen, die das Reich in seiner weiteren Entwicklung zum Stillstand brachten und seine Zurückhal­tung gegenüber der europäischen Politik in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts bestimmten, müssen wir hier vor allem zwei hervorheben. Der eine ist das Privatleben der Dynastie, bezw. die Art und Weise, wie das Haus Osman seine Familienverhältnisse gestaltete, und der sich daraus ergebende moralische Verfall, der zweite ist der Mangel an Disziplin sowohl im Heere wie in allen anderen Zweigen der staat­lichen Administration. Skizzieren wir vorerst das Familienleben der Dynastie, so gelangen wir von selbst zum anderen Krebsschaden des Reiches. Sultan Sülejman hatte dadurch, dass er jedes bedeutendere Volk des mohammedanischen Glaubens unter osmanisch-türkische Herr­schaft brachte und den Begriff Sultanat mit dem Begriff Islam identifi­zierte, seine Nachfolger in gewisser Hinsicht vor eine schwere Lage gestellt. Nach den Eroberungen Sülejmans blieb nämlich in der Welt des Islams keine einzige Dynastie übrig, welche würdig gewesen wäre, mit dem Hause Osman in verwandtschaftliche Beziehungen zu treten (ausgenommen die persische, von der das Haus Osman jedoch durch religiöse Momente mindestens ebenso geschieden war, wie von den christlichen Herrscherfamilien). So verfolgt also die osmanische Dyna­stie im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten, wo sie auch politische Ehen geschlossen hat, nach Sülejmans Tode keine Familienpolitik mehr und gerät so allmählich in eine isolierte Lage. Das Haus Osman schloss jedoch nicht nur mit fremden Dynastien keine Eheverbindung mehr, sondern mied eine solche, mindestens im Mannesstamme, von nun an auch mit den vornehmen Familien des Reiches. Die Politik des Hofes bangte vor Familienkämpfen und wollte sogar den Möglichkeiten hiezu vorbeugen. Sie holte sich also Frauen aus der Fremde, lauter Persönlichkeiten, die weder im Hofe noch im Reiche ihre Wurzel hatten. So gingen diese Frauen, zukünftige Thron­erbinnen und Sultanmütter, immer mehr aus dem Stande der Sklavin-

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