Ludwig Fekete: Einführung in die Osmanisch-Türkische Diplomatik der Türkischen Botmässigkeit in Ungarn (Budapest, 1926)

EINLEITUNG

unter der Republik wieder aufgenommen worden und wird allem Anschein nach jetzt zielbewusster und entschiedener durchgeführt als je zuvor. Gegenwärtig haben wir noch keinen Uberblick über die geordnete Materie, ihren Wert und ihren Inhalt, da sie bis heute der wissenschaftlichen Arbeit nicht eröffnet wurde. So weit man nach den in Zeitschriften und auch selbständig erschie­nenen Mitteilungen vermuten kann, gehen die Urkunden bis in den Anfang des 15. Jhdts., also in die Zeit vor der Eroberung Konstantinopels, zurück, verdichten sich seit dem 16. Jhdt. zu einem organisch zusammenhängenden Archivmaterial und werden hoffentlich alle die Auskünfte liefern, deren die allgemeine osmanlitürkische Urkundenlehre bedarf. 1 Das ausserhalb der Türkei befindliche türkische Urkundenmaterial ist nämlich so lücken­haft, dass man höchstens die diplomatischen Eigen­tümlichkeiten einzelner Zeitabschnitte und Land­schaften feststellen kann. Die Sammlungen der Balkanstaaten enthalten manchmal in grösserer Menge Urkunden, meist Dokumente der inneren Verwaltung, aber stets jüngeren Datums. Ziemlich zahlreiche Verord­nungen zur Vorbereitung des türkischen Feld­zuges von 1683 hat Jan Grzegorzevsky aus dem Archiv von Sofia veröffentlicht (Z Sidzyllatöw rumelijskich epoki wyprawy wiedenskiej, akta tureckie, we Lwowie 1912).' Uber die bosnischen Archive geben die „Wissenschaftlichen Mitteilun­gen aus Bosnien und der Herzegovina", besonders aber einzelne Jahrgänge des „Glasnik" (1911, 1912 und 1916) eine gewisse Orientierung. Angeblich ent­hält auch das Archiv von Ragusa türkische Urkun­den von grossem Wert; ein Teil davon wurde zur Zeit der napoleonischen Kriege nach Wien gebracht und ist vor kurzem an Jugoslavien gekommen. 8 In Ungarn beträgt die Menge der urkunden­artigen Dokumente, welche aus den anderthalb Jahrhunderten türkischer Herrschaft geblieben sind, selbst wenn man die zu Amtszwecken her­gestellten Listen (Defters) mitzählt, kaum drei 1 TOEM IX. 1. 2 Der Titel des türkischen Textes lautet: £. j i/^*­1 s Kra«litz, 43. oder vier Tausend. Diese kleine Zahl lässt sich gar nicht vereinigen mit dem Schreibeifer, der sich sonst im amtlichen türkischen Leben, nament­lich an den Urkunden nachweisen lässt. Es ist möglich, dass die Türken bei der Räumung des Landes einen Teil der Urkunden mitnahmen, der grössere Teil blieb aber sicher hier und ist dann im Laufe der Zeit zu Grunde gegangen. 1 Die hauptsächlich aussenpolitischen Urkunden des Wiener Staatsarchivs ergänzen in der glück­lichsten Weise das ungarische Material, das mehr Beziehungen zur Verwaltung und zum wirtschaft­lichen und kulturellen Leben aufweist. Zeitlich ist sie auch auf die Epoche vom 16.—17. Jahr­hundert beschränkt. Von den in der Wiener Konsularakademie befindlichen sechzehntausend türkischen Urkun­den (s. H. Krafft: Die arabischen, persischen und türkischen Handschriften der k. k. Orientalischen Akademie zu Wien. Wien, 1842) hat Franz Zsinka im J. 1923 nur einzelne Stücke gefunden.' Das Archiv von Venedig besitzt vom Stand­punkte der Diplomatik aus unschätzbares Urkun­denmaterial. Seine Sammlung von Turcica — etwa zweihundert Stück mittelalterliche und mehr als dreitausend neuzeitliche Urkunden — zeigt lücken­los die Entwickelung der diplomatischen Beziehun­gen über drei Jahrhunderte. An Urkunden, die sich auf das innere Leben des States beziehen, ist auch diese Sammlung naturgemäss ärmer als die ungarischen. In westlichen und nördlichen Sammlungen fin­den sich osmanlitürkische Urkunden nur ganz spo­radisch und meistens nur solche aus neuerer Zeit. Da einstweilen die Benutzung der türkischen Archive noch nicht möglich ist, in dem osmanli­türkischen Urkundenmaterial der europäischen Archive aber nicht jede Schriftart und jeder Ur­kundentypus vertreten ist, so kann sich der For­scher, der sich mit türkischer Diplomatik be­1 Auf einem für einzelne Teile der Komitate Szolnok und Arad bestimmten Berat (Stammaterial des Ung. National­museums) findet sich eine neuere Eintragung: „Scriptura Tur­cica ex praediis in victoria de Petrovaradinum 1716." Daraus könnte man schliessen, dass die Türken bei ihrem Rückzug versucht haben, amtliche Schriftstücke mitzunehmen. 1 KCsA I. 324.

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