Erzsébet Fábián-Kiss: Die ungarischen Ministerratsprotokolle aus den Jahren 1848–1849 (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 29. Budapest, 1998)

Ministerratsprotokolle

Der Gouverneur lenkte die Aufmerksamkeit des Rates zur Frage des O­berkommandos zurück, und infolgedessen nahm man die Umstände der ge­genwärtigen Standorte der ungarischen Heere in Betracht, aus denen deutlich wurde, daß, da die obere Armee unter General Görgei noch keinerlei Verbind­ung mit den in diesen Landesteilen tätigen Heeren eingegangen ist und Feld­marschalleutnant Bern mit dem siebenbürgischen Heer nicht nur in den äußersten Grenzgebieten jenseits des Königssteigs, sondern wahrscheinlich bis in die Moldau einrückend, in weiter Entfernung von hier kämpft, kann die Besetzung des Oberkommandos nicht unter direkter Beurteilung des Zustand­es sämtlicher bewaffneter Kräfte geschehen, ohne welche allerdings die diesbe­zügliche Maßnahme nicht mit voller Sicherheit durchführbar ist. Deswegen wurde es als das Zweckmäßigste erfunden, einen Oberkomman­danten jetzt nur für die Zeit zu ernennen, bis Görgei seine Vereinigung mit der unteren Frontlinie durchführt und Berns Kriegsführungsverhältnisse sich bes­ser entwickeln werden. Und zum derartigen Oberkommando beschloß man Feldmarschall­leutnant Dembinski durch den Gouverneur-Präsidenten aufzufor­dern, und entsprechend der Notwendigkeit, die sich aus der Besprechung mit ihm ergibt, wird der Gouverneur entscheiden, ob dem Ober­kommandanten auch die Generale Görgei, Bern und Vetter unter­stellt werden sollen oder diese, bis der oben erwähnte Zeitpunkt einer endgültigen Besetzung des Oberkommandos herankommt, die Richtlinie ihrer Feldzüge auch weiterhin direkt vom Gouver­neur und vom Kriegsminister empfangen. Der Gouverneur-Präsident hat dem Rat die Meldung des in Görgeis Lager gesandten Regierungskommissars Samuel Bónis vorgelegt, in dem er außer Bezugnahmen auf die Versorgungsumstände des Heeres folgende wichtige Mitteilung macht: Bei Ankunft des Heeres in Großsteffelsdorf erschienen bei Heerführer Görgei zwei Offiziere aus dem russischen Lager und übergaben ihm ein solches Friedensangebot des russischen Armeekommandanten, wo­nach den Generalen und Offizieren die Aufnahme in die russische Armee entsprechend ihres bisherigen Ranges, oder sollten sie das nicht wollen, die persönlichen Freiheiten garantiert werden, während sich den Soldaten die Wahl biete, entweder in die russische Armee überzutreten oder, die Waffen niederlegend, heimzukehren. 2 Außer dem diesbezüglichen Schreiben über­sandte der genannte Regierungskommissar noch beglaubigte Schreiben über folgende Tatsachen: General Görgei hat nämlich nach Empfang obigen Angebotes von den russischen Gesandten um 24 oder 48 Stunden Zeit für die Abgabe einer be­stimmten Antwort gebeten, mündlich mit den Gesandten die Nachricht send­end, daß er in der bedrängtesten Stellung Ungarns lieber einen russischen als einen österreichischen Herrscher akzeptiere. Während der ausbedungenen Frist hat er die Befehlshaber der Armeekorps zur Äußerung über die Beding­ungen aufgefordert, mit der Erklärung, daß er, nachdem er sich als von der Regierung abgelöst und von den Offizieren neugewählt betrachte, seine Ant-

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