Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

Fortschritt rasch, ihre Modernisierung, ihre Anpassung an die Anforderungen der fortgeschritteneren Stufe der Entwicklung erfolgt in den meisten Fällen nur sehr spät. Meiner Meinung nach ist dieser Entwicklungsrückstand, der Selbstregierungs­einrichtungen der Gesellschaft eine der bisher noch nicht genügend untersuchten und bewerteten Ursachen der im Leben der Menschheit stets wiederkehrenden Krisen. 181 Unser Augenmerk auf den technischen Fortschritt konzentrierend, können wir sagen, daß die Rückständigkeit der Staatsführung umso gefährlicher wird, je größer die Anforderungen des technischen Fortschritts an die gesellschaft­lich-staatlichen Einrichtungen sind, mit anderen Worten, je weniger diese Ein­richtungen, Institutionen bzw. deren Amtsführung mit der Entwicklung der Tech­nik Schritt halten können. Die Veraltung der gesellschaftlichen Regierungsformen war, vom Gesichtspunkt der Technik gesehen, vor Jahrhunderten zweifellos um vieles langsamer als schon in den ersten Jahrzenten des Dualismus. Der technische Fortschritt erfolgt zur Zeit von Kriegen in so raschem Tempo, daß gegenüber den konkreten Formen der staatlichen Einrichtung, die das Leben der Gesellschaft in ungesund enge oder schiefe Rahmen zwängen, die Gegensätze zu einer diese Rahmen und Einrichtungen sprengenden und zusammenbrechenden Spannung werden. In der Geschichte der Menschheit sind das jene tragischen Augenblicke, in denen die die gesunde Entwicklung hemmenden, negativen, zweit- und drittrangigen Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens, die Regierungsein­richtungen und Methoden der Amtsführung fast ein selbständiges Leben be­ginnen. Auf den ersten Blick scheint die Kluft zwischen den einzelnen Komponenten des gegebenen Entwicklungsabschnitts der Geschichte unüberbrückbar zu sein. Namentlich zwischen dem schwindelerregenden Entwicklungstempo der Technik und den konservativsten Elementen des gesellschaftlichen Überbaus, der Amts­führung. Aus unserem Gesichtspunkte ist es nicht gleichgültig, daß es gerade das Zeitalter des ersten Weltkriegs war, wo in der Geschichte der Menschheit vielleicht zum erstenmal und in der der Österreichisch-Ungarischen Monarchie vielleicht am augenfälligsten die vernichtenden Folgen dieser eigenartigen Spannung zur Entfaltung kamen und auch für die Geschichte wahrnehmbar waren. Die Staats­konstruktion der Monarchie, die unter den konkreten gesellschaftlichen und poli­tischen Verhältnissen der Epoche des Ausgleichs entstanden und durch die schnelle Veränderung dieser Verhältnisse bereits um die Jahrhundertwende überholt war, konnte den besonderen Anforderungen im Krieg keineswegs entsprechen. Zu ihrem Zusammenbruch trug bis zu einem gewissen Grade — wie wir im weiteren sehen werden — auch die Spannung zwischen der durch die beschleunigte Ent­wicklung der Technik im Weltkriege geschaffenen neuen Lage und der alle kriegeri­schen Mächte übertreffenden Veraltung des Regierungsapparates der Monarchie bei. 182 Zur Beleuchtung dieses Fragenkomplexes bzw. zur Illustrierung, daß die fast zur Technik gewordene, erstarrte Amtsführung des Regierungsapparates in kriti­schen Augenblicken einer herannahenden Katastrophe (wie z. B. der Ausbruch eines Kontinente umfassenden Krieges) eine diese Katastrophe fördernde, ja sogar, wenn der Gang der Dinge auf einen toten Punkt angelangt ist, eine über

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