Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)
Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges
Grund für seine scharfe Stellungnahme gegen territoriale Eroberungen, wenn auch der Text des Protokolls auf diese Frage keine Antwort gibt. Nur eine Bemerkung Tiszas kann uns auf den richtigen Weg führen : ein Krieg, der mit dem Ziel begonnen wird, Serbien zu vernichten, würde die Monarchie in einen Kampf auf Leben und Tod mit Rußland verwickeln. Sich wiederholt zum Wort meldend machte er darauf aufmerksam, daß unter den derzeitigen Verhältnissen ein furchtbarer europäischer Krieg unvermeidlich wäre. Würde sich die internationale Lage ändern, wäre ein späterer Zeitpunkt vielleicht für die Lösung des großserbischen Problems günstiger. Als der Vorsitzende Minister des Äußern das Ergebnis der Beratungen zusammenfaßte, sagte er, mit Ausnahme Tiszas würden alle darin übereinstimmen, daß ein rein diplomatischer Erfolg gegenüber Serbien selbst dann wertlos wäre, wenn er zu einer Demütigung des Königreichs Serbien führe. Die Monarchie müsse daher so hohe Forderungen stellen, daß im vorhinein damit zu rechnen sei, daß Serbien sie ablehnen werde und damit die radikale Lösung der Frage durch eine militärische Intervention gesichert werden könne. Hierauf machte Tisza das Zugeständnis, auf das ich schon verwiesen habe. Die Forderungen an Serbien sollten zwar hart sein, aber nicht erkennen lassen, daß die Monarchie gewillt sei, unannehmbare Bedingungen zu stellen, wenn diese Absicht klar auf der Hand liege, werde es unmöglich sein, eine Rechtsgrundlage für die Kriegserklärung zu finden. Allgemein herrscht die Auffassung, István Tisza habe seine Stellungnahme gegen den Krieg möglicherweise unter dem Einfluß des deutschen Botschafters in Wien, Tschirschky, geändert. In diesem Zusammenhang spricht man von der »Bekehrung« des Grafen Tisza. Aus der obigen Analyse des Textes des Protokolls des schicksalentscheidenden Ministerrates geht jedoch meiner Meinung nach hervor, daß — wenn überhaupt von einer »Bekehrung« Tiszas die Rede sein kann — diese bereits im Ministerrat vom 7. Juli erfolgt ist, zumindest beschritt er damals den Weg zur »Bekehrung«. Sein Protest gegen die Kriegserklärung nahm am Ende der Beratung rein formalen Charakter an. Er wünschte nur die Einhaltung der internationalen Rechtsgewohnheiten. Die Änderung seines Standpunktes erfolgte offenbar unter der Wirkung des einmütigen Widerstandes seiner Ministerkollegen und der sich im Verlaufe der Beratungen zeigenden Kriegspsychose. Dies beweist auch seine Mahnung, die er nach Erörterung der militärischen Fragen an die Teilnehmer der Konferenz richtete : sie sollten die Angelegenheit vor der Entscheidung gewissenhaft prüfen. Graf Tisza empfand zweifellos die drückende Last der Kriegsstimmung. So konnte Berchtold, der den Vorsitz führte, das Ergebnis der Beratungen summierend erklären, daß — obwohl zwischen Tiszas Auffassung und jener der übrigen Minister noch ein Gegensatz bestehe — doch eine Annäherung zustandegekommen sei und im Endergebnis auch Tiszas Vorschläge zu der von ihm und von seinen Ministerkollegen für richtig gehaltenen militärischen Abrechnung mit Serbien führten. Im wesentlichen kommt diese Haltung auch in den am l. 164 und 8. Juli 165 an Franz Joseph gerichteten Vorträgen Tiszas zum Ausdruck. Tisza hält den Standpunkt Berchtolds für verhängnisvoll. Durch seine Forderung wäre in den Augen der ganzen Welt die Monarchie der Friedensstörer. Und zwar unter ungünstigsten Verhältnissen. Bei der derzeitigen Lage auf dem Balkan werde es 4 Komjáthy: Protokolle 49