Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)
Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges
überhaupt nicht schwer sein, einen Casus belli zu finden, wenn sich die Kräftever hältnisse einmal für die Monarchie günstiger gestalten. Serbien müsse jetzt auf jeden Fall die Möglichkeit gegeben werden, den Krieg zu vermeiden. Wenn es die Bedingungen der Monarchie nicht annimmt, sollte ein Ultimatum gestellt werden und erst nach Ablauf desselben sollte mit den Feindseligkeiten begonnen werden. Auf diese Weise würde die Verantwortlichkeit für den Krieg auf Serbien abge schoben und jedermann könnte sehen, daß der Monarchie der Krieg aufgezwun gen worden sei. Diesen Krieg müßte dann jede Macht, die ihren staatlichen Be stand überhaupt erhalten will, ohne Zaudern durchkämpfen. Tiszas Standpunkt war also in der Tat nicht mit dem seiner Ministerkollegen identisch. Dies trat auch im Ministerrat vom 19. Juli klar zutage, wo in der Frage der Note an Serbien endgültig Beschluß gefaßt wurde. Sowohl Berchtold wie auch die österreichischen Minister rechneten schon mit dem Krieg als mit einer vollendeten Tatsache, der an der Beratung ebenfalls teilnehmende Chef des Generalstabes Conrad drängte geradezu auf Entfachung des Krieges. Tisza erklärte, er sei seitens der ungarischen Regierung nur dann geneigt, dem Ultimatum zuzustimmen, wenn der Ministerrat einstimmig erklärte, die Monarchie habe nicht die Absicht, Ser bien zu unterjochen und werde höchstens strategisch notwendige Grenzberichti gungen durchführen. Dieser Beschluß wurde auch gefaßt. Sein Wert wurde jedoch dadurch in Frage gestellt, daß im Verlaufe der Debatte wiederholt die Erwägung zum Ausdruck kam, die Monarchie werde kein serbisches Gebiet beanspru chen, nach der Niederschlagung Serbiens aber Teile Bulgarien, Griechenland und Albanien zuteilen. 166 Als Zeitpunkt der Überreichung des Ultimatums wurde vom Ministerrat der 23. Juli 5 Uhr nachm. bestimmt und ein Termin von 48 Stunden festgelegt. Es gibt auch eine Anschauung, daß während des Dualismus kaum von einer Initiative der ungarischen Regierung auf dem Gebiete der Außenpolitik gespro chen werden kann. 167 Wenn sie auch in Schicksalsfragen, wie in der orientalischen Frage, in der Frage der Okkupation, dann der Annexion Bosniens und der Herze gowina um Ratschlag ersucht worden war, wurde ihre Meinung nicht unbedingt in Betracht gezogen. Die Rolle der ungarischen Regierung scheint nur sekundär gewesen zu sein. Die mit dem Ausbruch des Weltkrieges zusammenhängenden Ereignisse bestä tigen teilweise diese Beobachtung. In den entscheidenden Ministerratssitzungen fiel Tiszas Meinung zwar stark ins Gewicht, die Beschlüsse wurden nach seinem Wunsche abgefaßt. Im Endergebnis hat jedoch die österreichische Führung der Außenpolitik ihren Willen durchgesetzt, wenn dies auch außerhalb des Minister rates geschehen ist. Die Geschehnisse außerhalb des Ministerrates haben dann auch Tisza vor vollendete Tatsachen gestellt. Jenő Horváth hat ausführlich nachgewie sen, daß Berchtold und Conrad bestrebt waren, durch eine Erklärung des Deut schen Reiches, daß es im Falle einer kriegerischen Abrechnung mit Serbien das Eintreten des Casus foederis anerkenne, den verantwortlichen Faktoren der Monarchie die Kriegserklärung zu erleichtern. In dieser Sache wandte sich auch Franz Joseph mit einem Schreiben an Kaiser Wilhelm. Der Inhalt dieses schicksal entscheidenden Briefes wurde auch Tisza mitgeteilt, jedoch erst dann, als dieser