Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

DIE ENTSTEHUNG DES GEMEINSAMEN MINISTERRATES UND SEINE TÄTIGKEIT WÄHREND DES WELTKRIEGES I Von 1867 bis 1918 war der gemeinsame Ministerrat das höchste Regierungsorgan der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Seine Sitzungsprotokolle aus der Zeit des ersten Weltkriegs sind ein wichtiges Quellenmaterial nicht nur für die Geschichte der Völker innerhalb der Doppelmonarchie, sondern wegen des weit um sich greifenden Krieges auch für die Geschichte Europas, in gewissem Sinne sogar für die der ganzen Welt. Da dieses äußerst vielfältige Material vom obersten Regierungsorgan einer Großmacht stammt, in dessen Rahmen nicht selten Welt­probleme zur Sprache kamen, kann es unter den verschiedensten Gesichtspunkten ausgewertet werden. Bei Kriegsausbruch waren die Tage der Monarchie bereits gezählt. Mit der schnellen Aufeinanderfolge der Ereignisse verlor das Reich zunehmend an Bedeutung und Gewicht und brach schließlich auseinander. Die erhaltenen Schrift­stücke eines untergehenden, entkräfteten Staates sind für die Geschichtsschreibung auch wegen der Lehren wertvoll, die sich aus der Beobachtung der immer mehr stockenden Tätigkeit des kranken Staatsorganismus einer ungesunden Gesell­schaft ergeben. Darüber hinaus sind die Protokolle des gemeinsamen Minister­rates der Monarchie auch deshalb von großer Bedeutung, weil auf den Trümmern der Donaumonarchie neue Staaten entstanden, deren Probleme zeitweilig schon in den Debatten der Ministerkonferenzen während des Weltkrieges aufleuchteten. In dieser Einleitung möchte ich die Benutzung und das Verständnis der Proto­kolle erleichtern, indem ich auf Entstehung und Tätigkeit des gemeinsamen Ministerrates näher eingehe. Dabei werde ich mir stets vor Augen halten, daß der gemeinsame Ministerrat der Monarchie nicht nur das Produkt eines geschicht­lichen Prozesses war, sondern im Verlaufe der Ereignisse, in stets wandelnder Form, selbst zu einem geschichtsgestaltenden Faktor wurde. Meine Aufgabe ist daher im wesentlichen die Lösung eines amtsgeschichtlichen Problems, in engem Zusammenhang mit der Quellenkritik der Schriften des gemeinsamen Minister­rats, der von ihm angefertigten Protokolle. Ich muß mich daher mit diesem beson­deren Produkt der Schriftlichkeit befassen, das als Dokument schicksalhafter Entscheidung oft nicht nur eine Quelle für die Geschichtsschreibung bildet, sondern als Produkt der höchsten Sachwaltung in die Ereignisse irgendwie ein­greifend und den Gang der Geschichte — wenn auch kaum merkbar — beein­flussend, auch an und für sich auf das Interesse der Nachwelt Anspruch erheben kann. Ich muß daher die äußeren und inneren Merkmale der Protokolle des

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